Schulaufsätze

Aufsätze Moorburger Schüler geschrieben in den Jahren 1937 bis 1952 unter der Leitung von Gustav Möhring

Es handelt sich um ausgesuchte Aufsätze zur Heimatkunde die der Moorburger Lehrer und Schulleiter Gustav Möhring von seinen Klassen über die Jahre schreiben ließ. Die Sammlung wurde mir von Volker Möhring zur Verfügung gestellt. Ich habe noch diverse Bilder hinzugefügt, die mir zu passen schienen.


Moorburg, den 24.3.2006

Harald Meyer





Inhalt


WAS ICH VON MEINEN VORFAHREN WEIß. (WILMA HUBERT)

MOORBURGER "MELKHÖKER" (HILTRUD MARTENS)

AUS ALTER ZEIT (GERHARD WIPPICH)

FAßLAMSINGEN (ELSA PINKENBURG)

DER PFERDEKOPF ALS GIEBELZIER (BRUNHILDE ALLDAG)

DIE ALTE "MAIRIE MOORBURG" (ILSE HEIMS)

MOORBURGER HAUSINSCHRIFTEN (BRUNHILDE ALLDAG)

"SPADEN UND TEICHRECHT" IN MOORBURG UM DAS JAHR 1664 (ILSE HEIMS)

WAS MOORBURGER "ÖKELNAMEN" UNS ÜBER DIE GESCHICHTE UNSERES ORTES ZU ERZÄHLEN WISSEN. (PAUL WITTLEBEN)

MOORBURG, DER GETREUE SCHILDKNAPPE HAMBURGS (GERTRUD MOJEN)

WAS ICH VON MEINEN VORFAHREN WEIß. (HEINRICH RITSCHER)

WAS ICH VON MEINEN VORFAHREN WEIß. (RUDOLF SITZ)

ALTER HAUSRAT, DER MICH AN MEINE VORFAHREN ERINNERT (HEINZ WESTPHAL)

WAS ICH VON MEINEN VORFAHREN WEIß (ILSE GERKENS)

WAS ICH VON MEINEN VORFAHREN WEIß. (HILDA MEIER)

ALTER HAUSRAT, DER MICH AN MEINE VORFAHREN ERINNERT (MARGRET MEYER)

WAS ICH VON MEINEN VORFAHREN WEIß (HILDE MOHR)

ALTER HAUSRAT, DER MICH AN MEINE VORFAHREN ERINNERT (LORE MOJEN)

WAS ICH VON MEINEN VORFAHREN WEIß. (INGE RÜBCKE)

WAS ICH VON MEINEN VORFAHREN WEIß. (IRMGARD SCHÖNFELD)

WAS ICH VON MEINEN VORFAHREN WEIß. (CHRISTA STUBBE)

EIN ALTER KESSELHAKEN IN EINER MOORBURGER KATE. (HELMUT ALBERT)

WAS ICH VON MEINEN VORFAHREN WEIß. (MARIANNE UHDE)

WAS ICH VON MEINEN VORFAHREN WEIß (THOMAS GERKENS)

WIE ICH NACH MOORBURG KAM (GUDRUN PARLITZ)

WAS ICH VON MEINEN VORFAHREN WEIß. (ILSE MEYER)

MOORBURGS MILCH- UND TORFHANDEL IN VERGANGENEN JAHREN (ULRICH HARMS)

BALKENSPRÜCHE AUS DER ELBGEGEND (GISELA MARTENS)

EINST UND JETZT (LISA SCHARNHOB)

"EINE SCHWERE LAST" (IRMGARD WINTER)

WAS ICH VON MEINEN VORFAHREN WEIß. (HANS-HEINRICH PETERS)

WAS ICH VON MEINEN VORFAHREN WEIß. (CHRISTEL SCHMIDT)

JUGEND UND KRIEGSERLEBNISSE (HELMUT HARMS)


Was ich von meinen Vorfahren weiß. (Wilma Hubert)

Meine Vorfahren hatten ein mühsames Leben. Die Verbindung zwischen Stadt und Land war in früheren Zeiten sehr umständlich. Mein Urgroßvater war in Moorburg Milchhändler. Er hatte einen eigenen Ewer. Damit brachte er die Milch nach Hamburg. Auch hatte meines Urgroßvaters Ewer die Jungfernfahne mit an Bord. Als später die Harburger Dampfer gebaut wurden und die Ewer nicht mehr fuhren, bekam mein Urgroßvater die Fahne zum Eigentum. Bei Beerdigungen, Hochzeiten und anderen feierlichen Gelegenheiten wurde mit dieser Fahne geflaggt. Im Jahre 1913 wurde sie dann der Kirche geschenkt. Dort befindet sie sich noch heute. In früheren Zeiten waren noch sehr strenge Winter, so dass die Elbe lange zugefroren war. Die Milchhändler kauften sich dann zusammen ein Pferd und einen großen Schlitten. Hiermit brachten sie auf dem Eise die Milch von Moorburg nach Hamburg. Im Jahre 1825 brach bei einem schweren Sturm der Deich. Von diesem gewaltigen Druck wurde das Haus meiner Ururgrossmutter väterlicherseits umgerissen. Sie musste mit ihren beiden Kindern auf einen Baum flüchten. Während sie mit dem Kleinsten in einem Boot gerettet wurde, ertrank das andere Kind. Meine Urgroßmutter väterlicherseits wohnte in Jork. Oft kam diese noch im achtzigsten Lebensjahr zu Fuß auf Lederpantoffeln und in Altländertracht nach Moorburg. Das war ein vier Stunden langer Weg. Auch trug sie dann einen Korb voll Kirschen oder Gemüse, welches sie ihren Kindern brachte.


Ich habe nur noch einen Großvater mütterlicherseits am Leben. Dieser ist auch schon achtzig Jahre alt. Er kommt noch öfter mit dem Fahrrad aus Neugraben, um uns zu besuchen.

Wilma Hubert, Moorburger Elbdeich 134, geb. 30 Juni 1925

Moorburg, d. 14.1.1937





Moorburger "Melkhöker" (Hiltrud Martens)

Die Eltern von meiner Mutter haben ein Milchgeschäft und eine Wirtschaft mit einem Garten. Diese liegt an der Landungsbrücke in Moorburg. Über 50 Jahre hat mein Großvater Milch nach Hamburg verkauft, in Schnee und Eis, in Sturm und Regen. Einmal ist er mit seinem Vater noch mit einem Eiskahn von Altenwerder bis nach Altona gefahren. Er war damals 10 Jahre alt, es war im Winter 1879. Einmal hatte mein Großvater mit 3 anderen Milchleuten zusammen ein Pferd gekauft. Einen Schlitten hatten sie sich geliehen, und so wurde denn Milch und Grünwaren bis Ecke Köhlbrand gefahren. Der Altenwerder Dampfer brachte dann die Fahrgäste an die Städte Altona und Hamburg. Meine Urgroßmutter und meine Ururgrossmutter fuhren auch mit Grünwaren zur Stadt. Mein Großvater ist im Winter, wenn die Elbe zugefroren war, mit der Eisenbahn über Harburg nach Hamburg gefahren. Die Milch wurde dann in Tonnen gefüllt, die die Moorburger Bauern nach Harburg brachten, wo Eisenbahnwagen bereitstanden. In den Nachmittagsstunden im Winter fuhr der Dampfer "Moorburg" manchmal später ab. Dann hieß es: " Der Dampfer fährt erst heute Abend 7 Uhr". Sofort ging es nach St. Pauli. Dort wurde in weißen Milchhosen getanzt. Auch wurde Karussell gefahren, denn auf St. Pauli war immer Jahrmarkt. So haben früher die Vorfahren sich durchkämpfen müssen, aber nie den Humor dabei verloren.







Hiltrud Martens, Moorburg, Elbdeich 27, geb. 28 Juli 1925

Moorburg, d. 19.4.1937




Aus alter Zeit (Gerhard Wippich)

Mein Urgroßvater Witt ist im Jahre 1830 auf Roß bei Hamburg geboren. Er hat zuerst als Knecht und danach beim Militär gedient. Zuletzt ist er zwanzig Jahre lang Decksmann auf einem Moorburger Dampfer gewesen. Der fuhr jeden Morgen um 5 ½ Uhr die Milchleute nach Hamburg. Nachmittags um 3 Uhr kam er zurück. Bei Hochwasser fuhren die Milchleute bis Blankau, bei Niedrigwasser mussten sie beim oberen Eisschuppen aussteigen, da waren die Landungsplätze. Wo jetzt die großen Weiden stehen bei Lohmann, war der Kohlenschuppen.



Nach dort fuhr ein großer Heimkahn mit Kohlen. Den mussten Urgroßvater mit ausladen und die Kohle mit in den Schuppen schaffen. Alle 8-9 Tage hatte die Mannschaft des Dampfers die Kohle vom Schuppen in den Bunker zu laden. Jede dritte Nacht musste mein Urgroßvater Wache schieben. Gestorben ist er 1881.



Meine Urgroßmutter Witt ist am 6.5.1830 in Moorburg geboren. Als junges Mädchen ist sie mit Milch nach Hamburg gefahren. Im Sommer fuhren sie mit anderen Mädchen zusammen in einem Kahn. Im Winter, wenn das Eis noch nicht richtig hielt, benutzten sie den so genannten Eiskahn. Nachher legten mehrere Milchleute zusammen, kauften sich ein Pferd, und dann ging es mit einem Schlitten los.



Gerhard Wippich, Moorburg, Elbdeich 123, geb. 26. August 1925

Moorburg, d. 22.12.1938



Faßlamsingen (Elsa Pinkenburg)

In früheren Zeiten hatten die Moorburger Kinder im Februar ein ganz besonderes Fest. Das "Faßlamsingen", das leider eingegangen ist. Wochen vorher regte sich bei den Kindern, ob klein oder groß, die Vorfreude darauf. Wenn die Fastenzeit heranrückte so mussten die Moorburger Bäcker zum Kringelbacken rüsten. Sie mussten ihren Kringeln einen ganz besonderen Geschmack geben. Die übrigen Handwerker: Tischler und Schnürmacher, hatten in dieser Zeit vollauf zu tun, um die Vorarbeiten für dieses Fest zu treffen. Keiner wollte sich nachsagen lassen, dass die Kinder ihr Material am liebsten bei einem anderen holten. Aber auch die Kinder hatten Vorarbeiten zu treffen, indem sie ihre zu sammelnden Kringel Bänder und zirka 10 cm kleine runde Holzstöckchen zu besorgen hatten. Es war unter den Kindern ganz genau bekannt, welcher "Schnürmacher" oder Tischler die besten Bänder oder Hölzer lieferte. Endlich waren die Vorbereitungen zum Faßlamlaufen beendet. Wenn die Kinder auch schon in den letzten Nächten nicht so besonders geschlafen hatten, so wurde in der letzten Nacht von Sonntag auf Montag bestimmt nicht mehr geschlafen. Schließlich hatte die Stunde des Aufstehens geschlagen. Ganz früh, noch im Dunkeln, wurde ausgerückt. Die Kinder aus dem unteren Teil der Gemeinde fuhren, weil der Weg ziemlich weit war, schon morgens mit dem Moorburger Milchdampfer, der in der Süderelbe bei Blankau seinen Liegeplatz hatte. Bei dem Landungsdamm von Schanzenmeyer gingen die Kinder von Bord und zogen bis zur Lauenbrucher Grenze, wo sich der Schlagbaum befand: Diesen machten die Lauenbrucher bei schlechtem Wetter zu, damit ihnen der Deich nicht so zerfahren wurde. Ein Teil der Kinder sammelte sich auf dem Deich. Der andere bei Bendix Bauer, Moorburg Nr. 1, auf der großen Diele. Das einzig Unangenehme bei diesem Fest war, dass sich auch Kinder von Heimfeld an diesem Vergnügen beteiligten. Diese wurden von den Moorburgern soviel wie möglich bekämpft. Endlich wurde die erste Haustür geöffnet. Die in einem Korb befindlichen Kringel wurden hingestellt. Der Bauer oder seine Frau hatten sich zum Verteilen daneben gestellt. Die dreistesten Kinder kamen zuerst an die Reihe und schließlich ging es bis hinab zu den kleinsten. Jedes Kind bekam seinen Kringel; diejenigen, die besonders bekannt oder mit dem betroffenen Bauern verwandt waren, bekamen auch zwei. So ging es von Haus zu Haus mit dem Ruf: "Faßlamsingen, kann ick een Kringel kriegen!", bis das letzte Haus in Moorburg erreicht war. Wo nichts gegeben wurde, ließen die Kinder den Ruf erschallen: "Rull - rull, dat oll Wiew is dull, mag nicht geben witten Twern, swatten Twern, dat oll Wiew, dat giwt nicht gern. Rull, rull dat oll Wiew is dull". Die Heimfelder Kinder wurden übrigens auf die Probe von den Leuten auf die Probe gestellt, ob sie Moorburger waren. Sie mussten "Moorburg" sagen. Sagten sie "Muerborg", so hieß es: " Goh man wieder". Die Kinder die unten in Moorburg Verwandte hatten, aßen da zu Mittag; abends gab es Sauerkohl mit Speck. Bei verschiedenen Leuten wurden die Kringel abends in Milch oder Braunbier gegessen. Auch die Dienstboten hatten es an diesem Tage gut. Bei Schneetreiben machten sie unter sich Schlittenfahrten nach Neuenfelde, wobei es ständig Grog zu trinken gab und mancher von dem Schlitten in den Schnee fiel, was ein ganz besonderes Gelächter hervorrief. Abends war bei Blankau Handwerkerball zu dem jeder aus Moorburg hinging. Hiermit war der schöne Tag beendet. Dieses bei den Kindern wie auch bei der erwachsenen Bevölkerung beliebte Faßlamlaufen wurde in dem Jahre 1888 durch den Moorburger Hauptlehrer, Herrn Grothkop, abgeschafft.

Elsa Pinkenburg, Moorburg Kirchdeich 14, geb. 14. September 1925

Moorburg, d.16.6.1937




Der Pferdekopf als Giebelzier (Brunhilde Alldag)

Wer durch die Lüneburger Heide wandert, findet überall alte strohgedeckte Bauernhäuser und auf den Giebeln Pferdeköpfe. Das ist kein Wunder; denn er befindet sich hier in dem Gebiete, wo das reinste Niedersachsentum zuhause war. Unseren Vorfahren war das Pferd ein dem Gotte Wodan geheiligtes Tier. Sie opferten ihm in jedem Jahr einen Schimmel. Dies fand auf einem Berge statt, wo ein großer Stein war, auf dem der Schimmel geschlachtet wurde. Die Pferdeschädel wurden in dem heiligen Eichenhain verwahrt. Später hängte man solche Schädel auch auf die Hütten. Wenn Gott Wodan dann in den heiligen Nächten zwischen Weihnachten und Neujahr durch die Luft brauste, sollte er sehen, dass er in diesen Häusern verehrt wurde. Als dann in späteren Zeiten die christlichen Priester das Schlachten von Pferden verboten, schnitzten die Leute Pferdeköpfe aus Holz und befestigten diese auf ihren Häusern.
Wie hoch das Sachsenross bei unseren Vorfahren in Ansehen gestanden hat, können wir aus einer alten westfälischen Sage erkennen. Diese erzählt wie die Sonne im Urwalde einen Felsen sprengt. Aus der klaffenden Spalte tritt eine hoch gewachsene Männerschar hervor, gefolgt von wiehernden Rossen. Ein Dichter schreibt dazu folgenden Vers: "Hinauf! Die Mähne fliegt, die Nüster schnaubt, das Auge blitzt, hoch trägt der Mann das Haupt. Und in die Nacht des Waldes sprengt der Tross:

Der erste Sachs' das erste Sachsenross!"


Brunhilde Alldag, Moorburg, Elbdeich 170, geb. 6.2.1926

Moorburg den 10.1.1939




Die alte "Mairie Moorburg" (Ilse Heims)


Wenn am Sonntag die Ausflügler von Hamburg und Harburg durch Moorburg wandern, so bleiben sie oft vor dem Hause Nr. 35 stehen. Das ist kein Wunder; denn über seiner Tür hat das Haus eine sonderbare Tafel, worauf folgendes zu lesen ist: " Auf diesem Gehöft war während der Franzosenzeit der Sitz der Mairie Moorburg. Mairie war Matthias Hermann Bauer, Unter-Mairie war Hans-Hinrich Meyer. Gott erhalte unserem Vaterland Frieden und Freiheit".
Dieses Haus hat schon eine große Geschichte hinter sich. Der Unter-Mairie Meyer hatte die undankbare Aufgabe, in Moorburg und vier angrenzenden Gemeinden Nahrungsmittel, Feuerung und Geld einzusammeln und für die Franzosen, die in Hamburg waren, dort hinzuschaffen. Aus dieser Zeit verdienen drei Nächte besonders genannt zu werden. Die erste Nacht war im Winter des Jahres 1810. Der Unter-Mairie musste wieder einmal Feuerung und Nahrungsmittel einsammeln. Darüber waren die Altenländer Bauern sehr empört, sie kamen mit Dreschflegeln und Mistforken und wollten den Unter-Mairie zu Leibe. Dieser konnte aber noch in die Haake flüchten, wo er mehrere Tage und Nächte zubringen musste. Die zweite Nacht war am 4. März 1814. Leutnant Hansing, der Sohn des Harburger Bürgermeisters, fiel bei einem Überfall auf die Moorburger Schanze. Die dritte Nacht war endlich eine fröhliche. Sie war Anfang April 1814. Da drang die Nachricht nach Moorburg, dass Blücher Paris eingenommen habe und Napoleon abgedankt sei. Es freuten sich alle, und die ganze Nacht hindurch wurde bei Punsch und Musik in der Mairie zu Moorburg getanzt und gefeiert.
Das alles erzählt uns die wappengeschmückte Tafel über der Tür des Hauses Nr. 35 in Moorburg.

Ilse Heims, Moorburg, Elbdeich 172, geb. 2 August 1925
Moorburg, d. 4.1.1939



"Löwenmut: Gott macht alles gut!" (Lotte Meyer)

In Neugraben, einem alten, schönen Bauerndorf mit vielen alten Eichen, liegt abseits von der Straße eine alte Räucherkate aus den Zeiten Friedrichs des Großen. Sie wurde im Jahre 1768 gebaut. Der offene Herd steht noch, wie es bei unseren Vorfahren Sitte war, auf der Diele. Um das Haus herum stehen große Eichen. Dieses Gebäude hat eine bedeutende Geschichte. Als im Kriegsjahr 1757 jede Gemeinde Hannovers einen Soldaten für Friedrich den Großen stellen musste, meldete sich in Neugraben ein Mann mit Namen Jochim Borchers freiwillig. Damals war England auch ein Bundesgenosse Friedrichs des Großen. Der Herzog von Cumberland, ein Sohn des englischen Königs, führte die verbündeten Hannoveraner, Braunschweiger und Hessen gegen die Franzosen. Während es Friedrich dem Großen gelang, die Franzosen bei Rossbach vernichtend zu schlagen, erlitt der Herzog von Cumberland in der Schlacht bei Hastenbeck durch seinen Gegner , den Marschall d. Estrées , eine Niederlage.


Die Folge davon war, dass ein großer Teil Hannovers an Frankreich abgegeben wurde. Die Hessen und Braunschweiger wurden sofort entlassen. Die Hannoveraner kamen nach Stade, von wo sie dann nach Hause geschickt wurden. Auch Jochim Borchers kam wieder zurück. Weil er freiwillig in den Krieg gezogen war, sollte er als Geschenk von den Bauern ein Haus bekommen. Jeder Bauer musste Teile zum Hausbau geben, so dass dieses der Gemeinde nicht teuer wurde. Aber sie bauten das Haus nicht an der Straße, sondern ins schwarze Moor. Dort war nicht wie jetzt feiner Ackerbau, sondern nur Moor. Da half ihm Gott aus der Not. Von Alvesen her floss ein Bach durch Neugraben, welcher den Namen Alve hatte. Diese brachte viel Sand von der Haake mit sich. Den drängte sie in das Moor, und so wurde feiner Ackerboden daraus. Es hat Löwenmut dazu gehört, dort zu ackern, doch Gott hat alles gut gemacht. Deshalb ließ Jochim Borchers einen Spruch über die Haustür schnitzen. Dieser hieß: "Löwenmut: Gott macht alles gut im schwarzen Moor!"


Lotte Meyer, Moorburg, Elbdeich 4, geb. 10.9.1925

Moorburg, d. 8.2.1939




Moorburger Hausinschriften (Brunhilde Alldag)

An unseren alten Moorburger Fachwerkhäusern findet man hier und dort noch schöne alte Sprüche. Aus diesen kann man ersehen, was für Menschen es waren, die sich den Spruch in die Balken schnitzen ließen. Einer von ihnen lautet:" Alles was mein Tun und Anfang ist, das gescheh' im Namen Jesu Christ; der steh' mir bei, früh und spat, bis all mein Tun ein Ende hat." Aus diesem Spruche geht hervor, dass dieser Mann sehr gottesfürchtig war; er bat Gott, er möge ihm bis an sein Ende beistehen. Ein anderer Spruch lautet: "Alle, die hier gehen aus und ein, laß dir o Gott, befohlen sein. Behüte, o Gott, dieses Haus vor Feuer und Wassers Gefahr." Dieser Spruch besagt, das Moorburg in früherer Zeit oft unter Deichbrüchen litt, weil die Deiche zur Zeit unserer Vorfahren noch nicht so hoch und so fest waren, und dass es unter großen Bränden gelitten hat. Ein dritter Spruch sagt, dass von Missgunst und Neid niemand befreit ist; denn mancher gönnt seinem Mitmenschen nichts Gutes, kein neues Haus oder friedsames Leben; wenn einer aber Gottes Segen hat, tut Missgunst ihm gar nichts. Der Spruch lautet: "Vor Missgunst und vor Neid ist niemand befreit; wenn ich aber habe Gottes Segen, ist mir an Missgunst nichts gelegen." Noch einen zweiten Spruch dieser Art gibt es, er heißt: " Laß die Neider neiden und die Hasser hassen, was Gott mir gönnt, müssen sie mir doch lassen." Aus diesem Spruch geht hervor, dass die Hausbesitzer den Neid und den Hass seiner Mitmenschen an sich erfahren hat. Missgunst und Neid scheinen von jeher in Moorburg groß gewesen zu sein; denn sonst würde es nicht zwei solche Sprüche darüber geben. Ein besonders sinnreicher Spruch in Moorburg lautet: "Sorgen ist dem Gott nicht verborgen, der alles sieht und alles hält, und was er mir beschieden, das dient zu meinem Frieden, und wär's die schwerste Last." Jeder Mensch bekommt von Gott seine Sorgen zu tragen, und mancher meint, er hätte die schwersten; aber Gott gibt ihm nur soviel davon, als zu seinem Frieden dient. Meistens ist es so, dass die meisten Menschen sich nur Gutes wünschen; dieser Mann ist aber auch bereit, die schwerste Last zu tragen.
Das auch in neuerer Zeit noch Balkensprüche erfunden wurden, geht aus einem Spruch hervor, den ein unmittelbar vor dem Kriege gebautes Haus trägt, er heißt: " Ein friedsam Haus auf Heimatgrund ist der schönste Schatz im Erdenrund." Wenn man in der Heimat ein Haus besitzt, in dem alle in Frieden miteinander leben, so ist das bestimmt der höchste Schatz auf der Erde. Diese schönen Sprüche und noch einige andere mehr stehen an unseren alten Moorburger Häusern.


Brunhilde Alldag, Moorburg, Elbdeich 170, geb. 6.2.1926


Moorburg, den 23.5.1939


"Spaden und Teichrecht" in Moorburg um das Jahr 1664 (Ilse Heims)

Vor einigen Wochen fand man in einem alten Moorburger Hause ein altes Buch, welches die Deichrechte aus dem Jahre 1664 enthält. Aus diesem Buch sieht man, dass die Deichgesetze früher viel strenger waren als heutzutage. Das musste auch so sein; denn die Deiche waren damals noch nicht so hoch und stark. Weil es öfter vorkam, dass der Deich beschädigt wurde, mussten die Deichgeschworenen gut aufpassen, dass jeder sein Deichstück in Ordnung hielt. Moorburg war aber zu der Zeit noch nicht so stark besiedelt, und so fiel dem einzelnen Bauern ein ziemliches Stück des Deiches zu. Mancher unter ihnen konnte das Geld für die Ausbesserungen nicht aufbringen. Wie es diesen armen Menschen erging, hören wir aus folgendem Abschnitt des Buches: " Wann ein Mann seyne Teiche nicht mehr länger erhalten kann, soll er einen Spaden auf den Teich stechen und damit sich des Landes, wovon der Teich gemacht wird, gänzlich begeben, und es den Beamten und den Teichgeschworenen anzeigen, damit Land und Leute von Uns als der Obrigkeit wegen angenommen werden und anderen werden und andere Vorsehung damit geschehe. Da aber einer sich finden Würde, der den Spaden auszöge, soll er des Landes Herr seyn und das Teiches sich annehmen und denselben verbessern und im Stande halten, dagegen von dem Verlasser und dessen Erben und Nachkommen wegen solches Landes nicht besprochen werden, und da es geschehe, solche Ansprücher mit ihren Klagen lediglich abgewiesen werden." Es gab aber auch hartnäckige Bauern, die Geld hatten, aber ihre Deichschäden trotzdem nicht bezahlten. Mit diesen wurde kurzer Prozess gemacht, wie wir aus folgenden Abschnitt des Buches ersehen: " Wenn ein Mann seyne Teiche nicht in Ordnung hält, so sollen die Ober- Haupt- und Amtleute sammt den Teichgeschworenen es ihm ansagen und ihm befehlen, den Teich zu bessern. So er darinne ungehorsam ist, soll er beim ersten Male zween Gulden zu Strafe geben, zum andern Male zehn Gulden. So er aber zum dritten Male ungehorsam seyn würde, soll er Teich und Gut verlustig und die selbigen der Obrigkeit verfallen seyn." Aus diesen beiden Gesetzen geht hervor, dass es um die Bauern, welche das Geld nicht aufbringen konnten, schlimm stand und das die Hartnäckigen unter ihnen auch ihre verdiente Strafe bekamen. Ein Spruch, der noch oft bei uns gebraucht wird und der eine unseren Vorfahren selbstverständliche Wahrheit enthält, stammt aus dieser Zeit. Er lautet: " De nich will diken, de mut wiken."


Ilse Heims, Moorburg Elbdeich 172, geb 2.8.1925

Moorburg, den 2.11.1939



Was Moorburger "Ökelnamen" uns über die Geschichte unseres Ortes zu erzählen wissen. (Paul Wittleben)

Die geschichtliche Vergangenheit einer Landschaft findet man nirgends treuer aufbewahrt, als in der Mundart. In unserem Moorburger Platt gibt es für den westlichen Teil Moorburgs vier "Ökelnamen." Aus denen kann man ersehen, wie es früher in Moorburg aussah.
In alter Zeit führte unser Dorf Moorburg den Namen "Glindesmoor." Diesen Ausdruck findet man in der hochdeutschen Sprache nicht mehr. Er ist nur noch in alten Geschichtsbüchern und Chroniken zu lesen. In unserer plattdeutschen Sprache sind die "Ökelnamen" jedoch getreulich aufbewahrt. Der westliche Teil von Moorburg heißt heute noch bei uns "Glinnsteert." Dieses Wort will sagen, dass hier der Steert oder das letzte Ende des Fadendorfes Moorburg sei.
Es gibt noch einen zweiten "Ökelnamen" für den westlichen Teil Moorburgs, der heißt "Grusort." Wir Plattdeutschen erinnern uns daran, dass unser Dorf in früheren Zeiten einen schwunghaften Handel mit Torf nach Hamburg führte. Beim Verladen gab es viel "Grus" und "Mull." Beim Torfstechen wurden die Arbeiter über und über mit "Grus" und "Mull" bedeckt. Darum sie scherzenhafterweise "Mullhöhner" genannt. In Wirklichkeit ist dieser Name ein Ehrentitel, denn er erzählt uns, dass hier am Altendeich außerordentlich fleißige Menschen wohnten. Sie wurden durch Arbeitsamkeit die Begründer des späteren Wohlstandes.
Merkwürdigerweise gibt es auch einen hochdeutschen "Ökelnamen" für für dieses Dorfende. Der heißt "klein Venedig." Damit hat es folgende Bewandtnis: ein breiter Wassergraben führte am unteren Ende Moorburgs entlang, der wurde "Fregen" genannt. Auf diesem fuhren die Bauern mit ihren langen, spitzen Kähnen Dünger auf ihr Land. Weil die Kähne Ähnlichkeit mit den Gondeln in Venedig hatten, so nannte man nach diesen das westliche Ende von Moorburg "Klein-Venedig".




Es wäre zu wünschen, dass diese "Ökelnamen" noch lange im Volksmunde erhalten bleiben.

Paul Wittleben, geb. 19.10.1927, Hamburg-Moorburg Kirchdeich 55

Moorburg, den 9.2.1942



Moorburg, der getreue Schildknappe Hamburgs (Gertrud Mojen)

Wenn man heutzutage Hamburger fragt, was sie noch über Moorburg wissen, so muss man nur über die Antworten staunen, die man dann bekommt. Der eine weiß, dass Moorburg ein sehr schöner Hamburger Ausflugsort an der Süderelbe ist, und der andere weiß, das Moorburg viel Milch und Gemüse nach Hamburg lieferte. Einige wissen nicht einmal, dass Moorburg zu Hamburg gehört. Und doch hat Moorburg in der Geschichte eine sehr große Bedeutung für Hamburg gehabt. Es hat dafür gesorgt, dass Hamburg die ganze Herrschaft über die Norder- und Süderelbe bis nach Cuxhaven erhielt.
Es war der Stadt Hamburg von jeher ein Dorn im Auge gewesen, dass sämtliche Schiffe von Harburg und Lüneburg ihren Handel mit Getreide, Salz, Wein und Bier von der Oberelbe durch die Unterelbe bis nach Cuxhaven trieben. Hamburg beschloss, diesem Spiel sobald als möglich ein Ende zu machen. Da bot sich im Jahre 1375 die Gelegenheit, die Landschaft Moorburg, die damals noch "Altes Moor" und "Reetwisch" hieß, unter der Hand und für wenig Geld zu kaufen. So nützte den Hamburgern die Landschaft Moorburg aber auch noch nichts. Sie holten sich deshalb das Stapelrecht vom Kaiser. Dies gelang aber erst nach langer Zeit und nach vielen Schwierigkeiten. Um das Stapelrecht zu schützen, bauten die Hamburger im Jahr 1390 die "Moorburg". In einer alten Hamburger Chronik finden wir noch heute die Bemerkung: " Anno 1390 hebben de Hamburger dat Slott Moorburch gebauet."
Als die Harburger merkten, was in Moorburg vor sich ging, wurden sie sehr unbequem. Deshalb ließ Hamburg die Harburger Burg mit "Blyden und Büchsen" belagern. Nun konnte man die "Moorburg" ruhig weiterbauen.
Hamburg hatte mehrere Auslieger in der Elbe liegen. Als sich nun einmal wieder ein Harburger Schiff sehen ließ, wurde es beschossen und musste anhalten. Dann musste das Schiff die Waren in Hamburg ausladen. Als das der Herzog von Harburg erfuhr, schäumte er vor Wut und soll ausgerufen haben: " Hätte ich das gewusst, ich wullte zugesehen haben, ob ich nach Hamburg oder er mit mir nach Harburg gedanzet wäre!" - Nun wurden die Harburger noch ärgerlicher, sie warfen auf Moorburger Gebiet einen Grenzgraben aus. Dies ließen die Hamburger sich aber nicht gefallen. Sie warfen den Graben eines Nachts wieder zu. Dann wiederum wollten die Harburger den Moorburger Deich durchstechen. Das wurde aber verraten. Die Harburger sagten sich, wenn es von der Wasserseite nicht ginge, dann müsste es gewiss von der Landseite her gehen. Sie rüsteten sich mit einer starken Macht und wollten die "Moorburg" des Nachts überfallen.

Da brach in Harburg plötzlich ein großes Feuer aus, etwa 40 Häuser und eine Anzahl Scheunen brannten ab, und der Versuch, die Burg zu stürmen, war wieder einmal gescheitert. Und " wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen." Von nun an gingen die Harburger vorsichtiger vor. Sie bauten eine Schanze. Dasselbe machten auch die Moorburger. Die Harburger zogen sich allmählich von der Schanze wieder zurück. Das taten die Moorburger auch. Sie dachten aber, die Harburger hätten die Wache eingezogen. Die Moorburger hatten sich aber sehr getäuscht. Darauf warteten die Harburger, und sie brachen eines Nachts in Moorburg ein und durchstachen auf mehrere 100 m den Deich.
Harburg hatte gerade noch zur rechten Zeit sein Mütchen gekühlt; denn jetzt bestimmte das Reichskammergericht noch einmal, dass Hamburg das Stapelrecht behalten solle. Der Friede wurde aber auf dem Rücken der Moorburger geschlossen. Moorburg bekam lange Zeit nachher noch immer etwas von den Feindseligkeiten der Preußen zu spüren.

Gertrud Mojen, Hamb.-Moorburg, Elbdeich 58, geb. 3.5.1927

Moorburg, den 27.2.1942



Was ich von meinen Vorfahren weiß. (Heinrich Ritscher)

Seit dem 30 jährigen Krieg ist das Geschlecht der Ritscher in Moorburg ansässig. Sie haben sich in den "Moorkaten" die noch heute stehen, angesiedelt. Ihr Gewerbe war meist Landwirtschaft, in späterer Zeit auch die Gastwirtschaft.



Ein Fenster, das von einem meiner ersten Vorfahren stammt, ist leider vor Jahren abhanden gekommen. Es hatte die Jahreszahl 1648. Unsere Vorfahren waren viel der Gefahr des Wassers ausgesetzt. Da die Moorkaten an einer besonders tiefen Stelle lagen, waren diese besonders gefährdet. Im Jahre 1825 war das Wasser bis an die Bodenluke gestiegen und 1855 bis an die Fensterbänke. Bei diesen Sturmfluten ist auch der Tisch, der noch heute in der Gaststube steht, unter die Decke gehoben worden.
Diese Decke spielte auch in anderer Hinsicht einmal eine bedeutende Rolle, nämlich in der Zeit, als Moorburg noch die Grenze des Hamburger Zollgebiets war und infolgedessen in unserem Ort viele Schmuggler wohnten. Noch heute finden wir über der Decke ein Versteck das nach oben hin durch eine zweite feste Decke abgeschlossen ist. In dem Hohlraum zwischen den Decken wurden die Schmuggelwaren versteckt. Man gelangte durch eine verborgene Luke hinein, und es soll oft vorgekommen sein, dass dieses Versteck auch zum Lauschen benutzt worden ist. Wenn unten in der Gaststube die Zollbeamten beim Glase Bier saßen und sich erzählten, wann und wo sie Streife gehen wollten, so legte sich oben einer in das Versteck, presste das Ohr an die Decke, hörte alles mit an und sagte das Gehörte an die Schmuggler weiter. Einige meiner Vorfahren sind ausgewandert nach Amerika und Russland. In Amerika sind 3 Generationen. Mein Onkel und seine Familie sind jetzt wahrscheinlich interniert. Wir alle wünschen dass das Geschlecht der Ritscher noch lange erhalten bleibt, wie es der Spruch von Dr. Heyken sagt:
"Es wachse der Stamm, so bieder und derb, stets Ritscher auf Ritscher die Moorkaten erb' "



Heinrich Ritscher, Moorburg, Elbdeich 211, geb. 20. Mai 1928

Moorburg, den 5.5.1942





Was ich von meinen Vorfahren weiß. (Rudolf Sitz)

Ich weiß von meinen Urgroßeltern, dass sie sehr früh starben; denn meine Großeltern haben sie kaum gekannt. Mein Großvater wurde am 4. Mai 1878 in Hamburg geboren. Er ging in Fleestedt zur Schule. Nach der Schulentlassung arbeitete er auf der Geest bei einem Bauern. Von 1899-1901 leistete er im Regiment 77, Celle, aktiven Wehrdienst. Hiernach heiratete er und zog nach Moorburg. Dann arbeitete er 21 Jahre als Eisenbieger und -flechter bei der Firma Prien. Als 1914 der Weltkrieg ausbrach, rückte er schon am 6. Kriegstage ins Feld. Er musste wohl oder übel von seinen 6 kleinen Kindern und seiner Frau Abschied nehmen. Die Zeiten wurden dann immer schlechter. Seine Frau brachte damals, als sie in Not war, mit ihren Kindern zusammen 6 Jahre lang die "Lühmannsche Zeitung" aus. In den 4 Kriegsjahren machte er u. a. die Schlachten im Argonner Wald, bei Langemark, Dixmuiden und Cambrey mit.
Nach dem Kriege war er in der arbeitslosen Zeit bei Prien in Harburg in der Kantine tätig und verkaufte Bier. Wenn er dann am Sonnabend Geld abliefern musste, hatte er immer einen Zementsack voll von Geldscheinen. Damit zu rechnen war sehr schwierig.



Als 1933 der Führer an die Macht gekommen war, gab es für jeden wieder Arbeit. Meine Großeltern wohnten auf dem Kirchdeich in dem ältesten Hause Moorburgs. Es ist in der Chronik heute noch zu finden. Meine Großmutter starb schon am 5.Februar 1935. Ich erinnere mich, sie nur einmal gesehen zu haben. Mein Großvater fand nun beim Eisschuppen wieder Arbeit.
Als dann die Eisschuten für Kriegszwecke verwandt wurden, fing er an, bei den "Tempowerken" in Bostelbeck zu arbeiten. Hier ist er heute noch mit 64 Jahren als rüstiger Mann tätig.



Rudolf Sitz, Hambg.-Moorburg, Kirchdeich 53, geb. 3. Juli 1928

Moorburg den 7.5.42




Alter Hausrat, der mich an meine Vorfahren erinnert (Heinz Westphal)



Unser Haus wurde 1868 erbaut. Schlachtermeister H. Witt ließ es bauen. Nach 5 Jahren kaufte mein Urgroßvater es. Wir haben im Haus noch allerhand Altertümer; z.B. hatten wir noch immer ein schönes Bild, auf dem stand ein Spruch, dieser lautet: "Ihr Leute lasst das Prozessieren sein, es bringt euch nimmermehr was ein, verloren geht bald Kalb und Kuh und Haus und Hof und ihr dazu, wie ihr es hier auf dem Bild könnt sehn: zwei streitend sich gegenüberstehen. Indessen melkt in guter Ruh der Advokat die fette Kuh." Dieses Bild hat Großvater einmal verliehen, und wir haben es noch nicht wieder. Wir besitzen noch 2 alte Truhen und einen Sekretär. Die Truhen sind rund 100 Jahre alt. Die eine ist noch ganz gut, aber die andere scheint älter zu sein. Wir haben auch auf dem Boden auch noch ein großes Wiegemesser, es wiegt ungefähr 100 kg. Damit wurde in früheren Zeiten Hack gemacht. Daraus kann man sehen, dass die Leute es früher nicht leicht hatten. Jetzt geht alles bequem mit Maschinen vor sich.

Heinz Westphal, Hambg.-Moorburg, Elbdeich 107, geb. 11. Januar 1929

Moorburg, den 8.5.1942




Was ich von Meinen Vorfahren weiß (Ilse Gerkens)



In der Franzosenzeit war in unserem Hause die Bürgermeisterei. Der Bürgermeister war der Urgroßvater meiner Großmutter. Er hatte eine sehr hübsche Tochter, die er in der Räucherkammer vor den Franzosen verbarg; denn die hätten Elisabeth gar zu gern mitgehen heißen. Elisabeth war es die den Sohn des Bürgermeisters von Harburg, Leutnant Hansing, aufbahrte und ihm sein Totenkleid anzog. Er wurde auf dem Friedhof zu Moorburg begraben. Elisabeth heiratete später einen Schanzenmeyer.
In unserem Besitz sind noch zwei Bücher, die von Bürgermeister Matthias Hermann Bauer geführt wurden. Es ist sehr interessant in diesen Büchern zu lesen, denn es ist sehr viel eingetragen. Man kann noch sehen, wie hübsch unsere Vorfahren zu schreiben verstanden. Diese Bücher stammen aus den Jahren 1816 und 1829.
Auf der Erinnerungstafel, die an unserem Haus angebracht ist, steht geschrieben:

"Auf diesem Gehöft war während der Franzosenzeit der Sitz der Mairie Moorburg.
Mairie war: Matthias Hermann Bauer.
Unter-Mairie war: Hans Hinrich Meyer.
Gott erhalte unserem Vaterland Frieden und Freiheit."
Dieses Schild wurde auf Wunsch des Pastors Stüven ungefähr um das Jahr 1905 angebracht.

Ilse Gerkens, Hambg.-Moorburg Elbdeich Nr. 35, geb. 15. April 1928

Moorburg, den 8.5.1942




Was ich von meinen Vorfahren weiß. (Hilda Meier)

Mein Urgroßvater wurde am 3. März 1840 in Hamburg geboren. Seine Mutter starb schon sehr früh, und er musste als kleiner Junge auf der Dradenau zu Pflegeeltern geschickt werden. Meines Urgroßvaters Pflegeeltern hatten selber schon neun Kinder und nahmen ihn auch noch mit an. Sie hatten öfter schlechte Stunden durchzumachen, sie mussten nämlich manchen Tag trockenes Brot essen, weil die Eltern kein Geld hatten, Butter zu kaufen.
Auch erlebte mein Urgroßvater eine Sturmflut mit. Das Wasser stieg so hoch, dass ihnen die Pantoffel vor dem Bett schwammen. Auch trieb ihnen der Düngerhaufen vor die Tür, so dass sie nicht hinaus konnten. Da sie weiter keinen Ausgang hatten, musste alles Vieh ertrinken. Nur ein Kalb konnte noch gerettet werden.
Danach siedelte mein Urgroßvater nach Moorburg über und ging als Knecht nach einem Bauern. Einige Jahre nachdem heiratete mein Urgroßvater. Er musste oft sein Geld sauer verdienen. Er ging dann als Tagelöhner und bekam den Tag über nur eine Mark. Mein Urgroßvater fuhr später auch mit Gemüse nach Hamburg. Es wurde in einen großen Ewer geladen, weil sie sonst keine Verbindung hatten. An der Straße wurde dann die Ware verkauft. Im Winter ging es mit Schlitten übers Eis nach Hamburg, um dort den Torf zu verkaufen. So sauer musste er sein Geld verdienen.


Hilda Meyer, Hambg.-Moorburg Elbdeich 254, geb. am 17. Januar 1929

Moorburg, den 11.5.42





Alter Hausrat, der mich an meine Vorfahren erinnert (Margret Meyer)



Es liegt schon viele Jahre zurück, dass meine Vorfahren gestorben sind. Sie hinterließen uns verschiedene altertümliche Sachen, zum Beispiel eine Truhe, einen Bowlenlöffel und einen Sekretär. -
Die Truhe ist von einfacher Art. Sie stammt ungefähr aus dem Jahre 1850. Früher diente sie zur Aufbewahrung der Aussteuer. Auch befindet sich in der Truhe ein kleines Nebenfach, in dem Geheimsachen und Schriftstücke aufbewahrt wurden. Als hier früher in unserer Gegend ein Brand ausbrach, brannte auch unser altes Haus, in dem meine Vorfahren lebten, ab. Bei dem Brand wurde auch unsere alte Truhe heil aus dem Haus herausgetragen. -
Den silbernen Bowlenlöffel bekamen meine Urgroßeltern zur Hochzeit, im Jahre 1873. Dieser Bowlenlöffel hat sicher schon viele Familienfeste mitgemacht, und wenn er reden könnte, hätte er uns bestimmt schon sehr viel Interessantes erzählen können.
Der Sekretär stammt von meiner Urgroßmutter aus dem Jahre 1871. Er ist sehr praktisch; oben kann man Geschirr hineinstellen und unten Zeug hineinlegen. Auch benutzen wir ihn als Schreibtisch. Der Sekretär ist auch beim Brand heil und unversehrt mit dem Geschirr hinausgetragen worden. Kein Stück ist dabei entzweigegangen.
Es ist etwas schönes, wenn man noch alte Sachen im Hause hat, die uns an unsere Vorfahren erinnern.


Margret Meyer, geb. 10.2.1929, Hamburg-Moorburg Elbdeich Nr. 42

Moorburg, den 12.5.1942




Was ich von meinen Vorfahren weiß (Hilde Mohr)

Aus den Erzählungen meiner Großväter und den noch vorhandenen Schriftstücken entnehme ich, dass alle meine Urahnen der Landwirtschaft entstammen. Außerdem waren alle Vorfahren hier in der Gegend ansässig.
Alte Gegenstände, die sich in unserem Haushalt befinden, künden von tüchtiger handwerklicher Fertigkeit der ehemaligen hiesigen Bewohner. Es steht da nun in unserer Stube ein alter Schrank, genannt "Schatulle", es ist ein Aussteuerstück meiner Ururgrossmutter. Es ist ein sehr kostbares Stück. Ein Schreibfach in ähnlicher Form habe ich bisher noch nicht gesehen. Die äußere Umfassung ist ganz poliert.
Das Bettchen, in welchem ich die ersten Jahre meines Lebens geschlafen habe, ist eine alte Wiege. Das erste Menschenkind, das in dieser Wiege geschaukelt worden ist, hieß Hinrich Mohr und ist 1771 geboren. Name und Jahreszahl sind in diese Wiege eingeschnitzt. Auf unserem Flur befinden sich drei ausgestopfte Vögel, einer davon ist eine Ente. Dem Beschauer fällt sie nicht auf, aber sie hat eine sonderliche Geschichte. Sie ist schon über hundert Jahre ausgestopft. Wann sie dem Ausstopfer in die Hände gegeben ist, können wir leider nicht mehr feststellen.
Wir wissen nur, dass sie, als 1825 hier der große Deichbruch war, mit fortgetrieben ist und damals schon ausgestopft war. Sie hat sich bis auf den heutigen Tag sehr gut erhalten. Außerdem haben wir noch zwei alte Truhen, genannt Koffer, die aber nicht von besonderer Bedeutung sind.

Hilde Mohr, geb. 8.4.1928, Hamburg-Moorburg Alter-Deich Nr. 231a

Moorburg, den 18.5.1942




Alter Hausrat, der mich an meine Vorfahren erinnert (Lore Mojen)

Unser Haus ist schon fast 200 Jahre alt. Über das Baujahr gibt ein Spruch uns Auskunft, der im Vordergiebel auf einem Balken über der Tür steht. Er lautet: " Anno 1778, den 3. Juli war eine große Feuersnot, und ich bete zum Herrn, und das Feuer stillte sich. Ach das wir doch alle ein Herz hätten, den Herrn zu fürchten, auf dass es uns wohlgehe und unseren Kindern ewiglich."
In unserem Besitz sind noch zwei alte Truhen und eine Schatulle. Die Truhen sind dem Aussehen nach schon recht alt. Es ist leider nicht mehr festzustellen, aus welchem Jahrhundert sie stammen. Vielleicht haben sie den Brand vom Jahre 1778 noch mitgemacht, da sie von der Zeit schon stark mitgenommen sind. Deckel haben beide nicht mehr, die Böden sind auch schon untergenagelt. Die Vorder- und Seitenwände haben aber die schönen Schnitzereien noch. Die Schatulle ist noch besser erhalten. Wir können allerdings auch nicht mehr feststellen, wer sie uns ins Haus gebracht hat. Dann haben wir noch in einem Zimmer eine Butze mit dem unvermeidlichen Kartoffelloch und eine alte "Deutsche Küche" mit einigen Geräten, die dazu gehören.

Lore Mojen, geb. 30.8.1928, Hamburg-Moorburg Elbdeich 58

Moorburg, den 19.5.1942




Was ich von meinen Vorfahren weiß. (Inge Rübcke)

Beim Aufräumen unserer Zimmer fand ich einige nette Sachen, die wie ich von meiner Mutter erfuhr, aus alter Zeit stammen. Und zwar fand ich zwei alte Kappen, eine aus Gold und eine aus Silber. Außerdem befinden sich noch in unserem Hause einige Koffer, alte Kaffeekannen und Teelöffel. Die letzteren sind aus dem Jahre 1796. Leider sind andere Sachen nicht mehr in unseren Besitz gelangt. Aber jedes Mal, wenn ich diese Sachen sehe, freue ich mich dazu. Auch ich werde mir Mühe geben, die Altertümer so lange wie möglich zu erhalten.
Wie meine Oma mir noch erzählte, ist meine Ururgrossmutter eine Elisabeth Meyer geb. Bauer, gewesen. Und zwar stammte diese aus dem geschichtlich bedeutsamen Hause Nr. 35. Sie war die Tochter des Ober-Mairie Matthias Hermann Bauer. Gerade von dieser Frau möchte ich etwas berichten, weil sie durch die Kämpfe gegen die Franzosen sehr bekannt geworden ist. 1813 kämpften die Deutschen gegen die Franzosen. An diesen Kämpfen war auch ein junger Leutnant namens Hansing beteiligt. Dieser wohnte in unserem Hause, welches die "Schanze" genannt wird. Er wurde durch einen französischen Offizier durch einen Lanzenstich auf dem Lauenbrucher Deich getötet. Meine Ururgrossmutter war damals 17 Jahre alt. Trotz ihrer Jugend brachte sie den Mut auf, den toten jungen Leutnant Hansing einzukleiden. Er liegt auf dem Moorburger Friedhof begraben. Während dieser vielen Kämpfe wurde bei unserem Nachbarhaus Nr. 7 der Deich durchstochen, so dass das ganze Land überschwemmt wurde.



Zur Erinnerung an diese Schlachten setzte unser Nachbar Hermann Meyer ein Denkmal, an welchem er zwei Gewehre aus damaliger Zeit anbrachte. Die "Schanze" brannte im Jahre 1869 ab. Zum Andenken an sie brachte man drei Kugeln in den hinteren Dachgiebel ein.


Inge Rübcke, Moorburg Elbdeich Nr. 9, geb. 7. März 1928

Moorburg, den 27. Mai 1942



Was ich von meinen Vorfahren weiß. (Irmgard Schönfeld)

Meine Großmutter mütterlicherseits stammt aus einer Fischerfamilie, mein Großvater mütterlicherseits aus eine Gemüsebauerfamilie.
Der Bruder meiner Großmutter behielt das Fischerhandwerk bei. Auch erbte er einen Schrank, der schon über hundert Jahre alt ist. Es ist ein Erbstück von meinen Ururgroßeltern. Auch kaufte er sich vor einigen Jahren das Stück Land, welches Meine Ururgrossmutter als Mitgift von ihrem Vater haben sollte. Die Urkunde dazu fand mein Großonkel in einem versteckten Fach des Schrankes. Mit dieser Urkunde ging er zum Besitzer dieses Grundstückes, welcher ihm daraufhin das Stück Land verkaufte. Vor einigen Jahren baute er sich ein Haus auf dieses Grundstück.
Meine Großeltern zogen 1890 von der Oberelbe in die Hamburger Gegend. Erst wohnten sie auf einer einsamen Insel, Waltershof gegenüber. Diese wurde 1907 durch einen neuen Hafenbau aufgespült. So mussten sie von dort fortziehen und sie sind dann nach Kattwik gezogen, was ebenfalls eine Insel ist. Hier hatten sie sehr viel mit dem Wasser zu kämpfen. Wenn im Frühjahr und im Herbst Hochwasser kam, liefen die Keller bis obenhin voll.
Als mein Großvater nach Kriegsende nach Hause kam, wurde das "Hederhaus" (Hirtenhaus) in Hohe-Schaar frei, und so zogen sie dort hin. Sie wohnen heute noch dort. Hier schafften sie sich Vieh an, darunter ein paar Kühe. Die Milch, die die Kühe gaben, wurde an die Molkerei in Altenwerder verkauft. Es war sehr schwer, die Milch nach Kattwik zu bringen, da es noch keine ordentliche Straße gab. Vor ein paar Jahren wurde nun dort angefangen zu spülen, um einen Hafen zu bauen. So müssen sie auch dort bald wieder fortziehen.

Irmgard Schönfeld, Moorburg Elbdeich 128a, geb. 28. Mai 1928

Moorburg, den 28.5.1942




Was ich von meinen Vorfahren weiß. (Christa Stubbe)

"Zu den drei Kronen"

Meine Vorfahren waren alteingesessene Moorburger, väterlicherseits waren meine Vorfahren Milchleute. Sie fuhren mit einem großen Ewer nach Hamburg und "hökerten" da ihre Milch aus, die sie hier bei den Moorburger Bauern kauften. Der eine Milchewer hieß "Löwe" der andere "Kater" und den Schiffer nannten sie "Koterschibber". Noch heute heißen die Nachkommen im Volksmund "Koterschibber" . Die Milchewer legten bei Lohmann, Flügge und Schanzenmeyer an. Mein Großvater kann sich noch erinnern, wie er als kleiner Junge mit seinem Vater nach Hamburg fuhr, um ihm mit beim Milchaustragen zu helfen. Auch weiß er noch, dass in alten Hamburger Häusern statt der Treppengeländer Taue angebracht waren. Im Winter, wenn die Elbe zugefroren war, fuhren die Milchleute mit einem Schlitten nach Hamburg. Dann machte es der Jugend viel Spaß mitzufahren. In Altona auf dem Eis standen groß Zelte für Schlittschuhläufer. In ihnen wurde tüchtig "Petum" getrunken, und mancher hatte nachher einen kleinen Schwips.


Wenn im Winter Schweine geschlachtet wurden, wurde "Schweinekost" gefeiert, und jeder Milchmann holte sich seinen Grog ab. Das war ein "Grund zum Trinken", und oft standen die Milchkarren bis spät abends vor der Tür, so sehr wurde das Schwein "begossen".
Die Eltern meiner Großmutter waren Bauern und Gastwirte. Der Name über unserer Haustür "zu den drei Kronen" stammt noch aus alten Zeiten.

Christa Stubbe, Moorburg Elbdeich 138, geb. 17.8.1928

Moorburg, den 28.5.1942




Ein alter Kesselhaken in einer Moorburger Kate. (Helmut Albert)

In meinem Heimatdorfe Moorburg befinden sich noch zwei alte Herde von der Art, wie unsere Urgroßeltern und deren Vorfahren sie auf jedem Bauernhof besaßen, nämlich einen alten deutschen Herd. Aber nur einer dieser beiden, derjenige im alten Rauchhause der Familie Mojen, Moorburg 175, weist noch am sogenannten Rehmen über dem Feuer einen Kesselhaken auf. Eine Inschrift besagt, dass er einst (1799) einem Manne mit Namen Christoph Ries gehörte.
Wenn man diesen tiefgeschwärzten, vielgebrauchten Kesselhaken betrachtet, so fühlt man sich unwillkürlich an Zustände früherer Zeit erinnert.
Das licht- und wärmespendende Herdfeuer war unseren Vorfahren heilig. Die Herdstelle befand sich auf dem Fußboden eines Vorraums, im sogenannten Flett. Sie galt als heilige Stätte des Friedens. Wenn der ärgste Feind des Bauern bei ihm ans Herdfeuer gelangt war, so galt er als Gast und war seines Lebens sicher. Der Bauer trat dann auch für den Feind ein und verteidigte ihn, wenn es sein musste, mit dem eigenen Leben. Dies bestimmte das alte Gastrecht. Das galt aber nur bei brennendem Feuer. Hieraus ergibt sich, dass man peinlich genau dafür sorgte, dass das Feuer das ganze Jahr über nicht ausging. Am Abend wurden alle Holzkohlen- und Torfreste sorgsam zusammengedrückt. Hierüber schüttete man Asche, so dass man das Feuer am nächsten Morgen nur anzublasen brauchte. Das Wahrzeichen des Herdfeuers aber war der Kesselhaken. Er bestand aus zwei Eisenstangen, von denen die obere über dem Feuer an der Decke angebracht war. Die untere Eisenstange war sägeartig gezackt und mit einem Haken versehen, so dass er länger und kürzer gemacht werden konnte. Welche große Rolle der Kesselhaken zu damaliger Zeit gespielt hat, geht daraus hervor, dass ihn viele Leute zusammen mit der Wolfsangel in ihrem Familienwappen trugen. Aber auch ein Ereignis aus dem 30 jährigen Krieg, wie es Hermann Löns in dem Buche "der Wehrwolf" geschildert hat, zeigt uns deutlich seine Bedeutung: Es war in der Lüneburger Heide. Man hatte in seiner Abwesenheit dem Wulfsbauern den Hof niedergebrannt und sein Weib sowie seine Kinder zu Tode gequält. Der Kleinknecht Thedel war übrig geblieben und fand nachher zu guter letzt noch unter den Trümmern den Kesselhaken. Der Wulfsbauer sagte zu ihm: "Das ist mehr wert, als wenn du 100 Taler gefunden hättest. Dafür will ich dir ein Haus hinstellen mit allem was dazu gehört". Der Kesselhaken gehörte zum Erbgut des Mannes. Sollte der Sohn den Hof erben, so standen Vater und Mutter am Herdfeuer. Der Sohn ritt mit einem Pferde auf die Diele. Er musste mit dem rechten Fuß den Kesselhaken hochheben und an sich nehmen. Führte der Sohn eine Frau auf den Hof, so musste sie im Beisein der gesamten Hochzeitsgesellschaft singend um die Herdstelle tanzen. Zum Zeichen ihrer Würde erhielt sie danach einen großen "Kohlschleef" mit bunten Bändern. Der Kesselhaken musste als Zeuge zugegen sein. Der Großknecht saß auf einem Stein neben dem Feuer und klopfte mit ihm den Takt zum Tanz.




Was ich von meinen Vorfahren weiß. (Marianne Uhde)

Mein Urgroßvater hieß Hermann Meier. Er wurde am 3. März 1840 zu Hamburg geboren. Der Vater starb bald nach der Geburt, und so musste die Mutter ihr Brot selber verdienen. Sie gab ihren Sohn bei fremden Leuten in Pflege. Die hatten aber selbst 9 Kinder. Der Pflegevater war Milchmann. Früher wurde jedoch noch nicht so viel verdient, wie heute. Sie haben manchen Tag trockenes Brot gegessen, weil sie keine Butter kaufen konnten. Die Pflegemutter musste oft Kartoffeln kochen, das war dann der Brotaufstrich. Als mein Urgroßvater aus der Schule entlassen wurde, kam er zu einem Bauern auf der Dradenau bei Altenwerder. Eines Nachts kam eine große Sturmflut, bei der viele Kühe ertranken. Bloß ein kleines Kalb wurde gerettet. Die Bauersleute konnten nirgends hin, denn das Wasser stand schon vor den Betten, und der Düngerhaufen war vor die Tür getrieben, so dass die Bewohner nicht aus dem Hause heraus konnten. Sie mussten solange warten, bis das Wasser wieder gefallen war.
Später kam mein Urgroßvater nach Moorburg. Zuerst hat er bei Pastor Hüpbede gedient. Weil es so viele Meiernamen in Moorburg gab, wurde er immer "Pastors Hermann" genannt; dann wusste jeder, welcher Meier gemeint war. Mein Urgroßvater diente noch einige Jahre beim Bauern, und danach hat er sich verheiratet.
Mein Urgroßvater war ein fleißiger Arbeiter und ist 84 Jahre alt geworden.

Marianne Uhde, Moorburg, Alterdeich 223, geb. 23.6.1929

Moorburg, den 13.7.1943




Was ich von meinen Vorfahren weiß (Thomas Gerkens)

Die Bewohner in den "Moorkaten" sind wohl die ersten Ansiedler in Moorburg gewesen. Davon zeugt noch der alte Moorburger Friedhof, der noch heute mit einem Wassergraben umzogen ist. Auf ihm stand in alter Zeit eine aus Holz gebaute Kirche. Die wurde außer von den Moorburgern auch von vielen Geestleuten besucht. Die Kirche trieb einst bei einer Hochflut, als im Altenlande und in Moorburg die Deiche brachen, an die Stelle, wo dann später unsere jetzige Kirche gebaut wurde. Die Bewohner der am Kirchdeich gelegenen Moorkaten, Ritscher genannt, sind ein uraltes Geschlecht. Nicht allzu viel später werden auch meine Vorfahren in Moorburg zur Stelle gewesen sein. Der erste Thomas Gerkens war im Jahre 1798 in Moorburg Nr. 20 eingeheiratet. Vorher war hier ein Wilhn Flück. Von ihm steht bei uns noch eine gut erhaltene Standuhr. Der Sohn von Wihln Flück war von Beruf Kaufmann, denn der Hof ward so herunter gewirtschaftet, dass er nicht mal 13 RM bezahlen konnte und versteigert werden sollte. Vieh war überhaupt nicht mehr auf dem Hofe. Da ist mein Urururgroßvater hier eingeheiratet. Der hat alles auf dem Hofe zu Heugras gemäht, nämlich die ganze Innenhofstelle. Damals war das Heu sehr knapp und teuer. Deshalb hat er alles Heu nach Hamburg verkauft. Mein Ururgroßvater ist früh verstorben. Er wurde als Deichgeschworener gewählt. Er konnte es aber nicht werden, weil er den Hof noch nicht zu eigen hatte. Das hat er sich so zu Herzen genommen, dass er daran starb. Da hat seine Frau solange den Hof bewirtschaftet, bis mein Urgroßvater groß genug war.



Danach hat Opa den Hof übernommen. Der hat den Hof auch nicht verschlechtert. Er hat nämlich ein neues Vorderhaus gebaut und den Hof auch noch vergrößert. Seit 1937 hat mein Vater den Hof übernommen. Hoffentlich gelingt es auch mir, ein tüchtiger Bauer zu werden.

Thomas Gerkens, Moorburg - Elbdeich Nr. 20, geb. 31.1.1930

Moorburg, den 14.7.1943




Wie ich nach Moorburg kam (Gudrun Parlitz)

Wochenlang war der Russe nur 10 km von uns entfernt. Die ganzen Nächte hörten wir den Kanonendonner von der Artillerie, manchmal näher manchmal auch weiter entfernt. Durch die Straßen unserer Stadt kamen wochenlang sehr viele Trecks mit Flüchtlingen vorbei. Ganze Armeen von Soldaten zogen rückwärts. Allmählich kam der Russe von allen Seiten näher heran. Eine Stadt nach der anderen wurde aufgegeben. Auch meine liebe Heimatstadt Dramburg in Pommern hatte seit Mitte Januar Packbefehl. Viele Einwohner hatten schon Dramburg verlassen. Es konnte aber niemand mit den Zügen fahren, da diese nur Militär beförderten. Die Leute waren gezwungen, ihre Kinder und die notwendigsten Sachen auf Rodelschlitten zu packen und zu Fuß 30 km zum nächsten Eisenbahnknotenpunkt zu gehen. Dabei kamen hauptsächlich viele Kinder ums Leben. An der Straße nach Wusterwitz 14 km, zählte man allein 110 Leichen. Mutti konnte während dieser Tage und Nächte keine Ruhe mehr finden. Seit Wochen mussten wir bereit sein, jeden Augenblick abrücken zu können. Mutti hatte schon dreimal die Aufforderung erhalten, mit uns Kindern die Stadt zu verlassen. Da bei der großen Kälte die Gefahr aber bestand, dass wir Kinder unterwegs erfrieren würden, blieb Mutti trotz der Gefahr zu Hause. Eines Abends war Mutti besonders unruhig, alle in der Stadt befindlichen Soldaten hatten höchste Alarmbereitschaft. Der Russe stand mit hundert Panzern und aufgesessener Infanterie zum Durchbruch bereit. Viele russische Tiefflieger kreisten über unserer Stadt und beschossen die Menschen auf der Straße. In der Nacht zum 3. März gab es für Dramburg Alarm, die Glocken läuteten, und die Sirenen heulten. Der Russe war durchgebrochen und auf der Straße nach Labes vorgestoßen, 2 km an unserer Stadt vorbei. Die Eisenbahnlinie hatte er ebenenfalls in der Hand. Damit bestand keine Aussicht mehr, fort zukommen. Die einzige noch nicht besetzte Straße nach Schievelbein stand unter Beschuss. Wir waren also ziemlich eingeschlossen, rings um uns knallte es. Es gab auch keine Autos, um noch Frauen und Kinder hinaus zuschaffen. Meine Mutter ging noch zum Generalleutnant Krappe, um sich genaue Informationen zu holen. Der gab ihr den dringenden Rat, Dramburg zu verlassen; aber wie, wusste er auch nicht. Auf dem Marktplatz standen die Mütter mit ihren Kindern und weinten bitterlich. In letzter Minute kamen unsere Soldaten, die bei uns in Quartier waren und nahmen uns mit einem Lastauto mit nach Stettin. Die ersten Granaten hauten in unserer Straße ein, als wir losfuhren. Es war schon Abend geworden. Rings um uns tobte die Schlacht. Der Himmel war rings um uns rot von den brennenden Dörfern. Leuchtkugeln stiegen hinter uns auf und machten die Straßen taghell. Die Strecke nach Stettin fuhren wir 12 Stunden im Schneesturm. Sonst fährt man 2 Stunden. Doch mussten wir viele Umwege machen, weil überall schon der Russe war. - Zu Hause mussten wir unsere sterbende Urahne lassen, weil sie nicht mehr transportfähig war. Wenige Stunden später überrollte der Russe alles was auf den Straßen war, mit seinen Panzern. - Von Stettin aus fuhren wir mit einem Güterzug 3 Tage und 3 Nächte bis Bremen, - und von dort dann nach Moorburg.

Gudrun Parlitz, Moorburg, Elbdeich 212, geb. 2. August 1935





Was ich von meinen Vorfahren weiß. (Ilse Meyer)

Wir sitzen nach dem Abendbrot gemütlich in der Stube. Ich bin bei meinen Großeltern in Altenwerder zu Besuch. Wohlige Wärme strahlt der kleine Kachelofen aus. Es ist so recht behaglich; denn draußen kämpft der Winter mit dem Frühling seinen letzten schweren Kampf. Regen und Wind schlagen gegen die Scheiben und versuchen sie einzudrücken.
Opa, der seinen Sessel näher dem Ofen gerückt hatte, stopft sich sein Pfeifchen und nachdem er es mit der letzten Glut des Ofens in Brand gesteckt, ist er bald in Blaue Rauchschwaden gehüllt. Feierabend-stimmung!
Wir bitten ihn, uns doch einmal über seine und über unsere Vorfahren zu erzählen. Wen würde es nicht interessieren, Näheres über seine Sippe zu erfahren? "Den Gefallen will ich euch gerne tun", so beginnt er seinen Bericht und er erzählt in seiner immer schönen, plattdeutschen Muttersprache, die uns doch allen am liebsten ist: "Nicht immer haben Bauern mit dem Namen Meyer auf diesem Hof gesessen. Was mein Großvater war" - ich rechne schnell im Kopf nach; wenn mein Opa "Großvater" sagte, so ist es doch immer schon wieder mein Ururgroßvater - "er war ein gescheiter Fährmann. Es gab damals noch keine Dampfer, alles ging mit Segelbooten vor sich. Wenn er auch mit seinem Boot nicht die Ozeane überquerte, so hatte er immerhin doch schon einen regen Frachtverkehr zwischen Hamburg, Harburg und den Elbinselgebieten. Ihm war ein sehr langes Leben beschieden, er erreichte das Alter von 99 Jahren. Was sein Sohn war", - also mein Urgroßvater, - so fährt mein Opa wieder fort, - "war ein tüchtiger Kaufmann. Er hatte in Altenwerder, wo sich jetzt die Sparkasse befindet, eine große Krämerei, und es gab wohl nichts, was man dort nicht hätte kaufen können, vom kleinsten Schuhnagel bis zum besten Portlandzement, ganz abgesehen von Schinken, Würstchen und feinsten Getränken und Kurzwaren.
Als es 1870 zwischen Frankreich und Deutschland zum Kriege kam, zog mein Urgroßvater als, junger Freiwilliger mit hinaus, für seine Heimat zu kämpfen. Er zeichnete sich hier bald durch hervorragende Leistungen aus und wurde Korporal und erwarb sich das Kreuz 1. und 2. Klasse. Leider habe ich meinen Urgroßvater nie zu sehen bekommen; denn er starb kurz vor meiner Geburt an einer Herzerweiterung, die er sich im Kriege zugezogen hatte. Noch in der letzten Stunde seines Daseins sang er den schönen Choral "Es ist eine Ruhe vorhanden." Beim 9. Vers ging er zur ewigen Ruh' ein. So beendete er sein kurzes Leben mit 27 Jahren.
Ich hole Opa, der seine Pfeife erneut gestopft hat, ein Zündholz. Erfreut über meine Aufmerksamkeit, dankt er mir herzlich und fährt fort: "Ja, und auch meine Mutter, die aus einer Fischerfamilie stammte, wurde mir schon, als ich erst 5 Jahre alt war, genommen. Sie starb an einer sehr tückischen Krankheit. So war ich dann mit 5 Jahren Vollwaise. Meine Tante nahm sich meiner an, und von der Zeit an war ich auf diesem Hof in Altenwerder auf dem Westende No: 89. Durch Fleiß und Glück konnte ich die Landstelle noch vergrößern und Wohnhaus und Stallungen erneuern. Hoffentlich bleibt immer ein Meyer auf diesem Hof; denn immer kommt die Kraft vom Lande. Das Land ist der Jungbrunnen der Stadt". Wir saßen an diesem Abend noch lange zusammen und viel wurde noch geplaudert über dieses und jenes. Dieses waren die Vorfahren väterlicherseits. Jetzt erzählte mir auch noch meine Oma mütterlicherseits, wie es früher bei ihnen zuging.
Sie erzählte, dass meine Ururgroßmutter eine geborene Elisabeth Bauer war. Sie war die Tochter des Ober-Mairie Matthias Hermann Bauer. Sie wurde im Jahre 1800 in dem jetzt leider zerstörten Haus No: 35 geboren. Bekannt geworden ist sie durch die Kämpfe auf der Moorburger Schanze. Am Abend eines dieser Kampftage kleidete sie den gefallenen Leutnant Heinrich Hansing, der durch den Säbelhieb eines französischen Offiziers zu Tode getroffen wurde, für den Sarg ein. Die Franzosen raubten ihm seine Taschenuhr und verkauften sie in Harburg an einen Händler. Dieser kannte die Uhr und brachte sie zum Bürgermeister von Harburg. Später nach dem Kriege heiratete meine Ururgroßmutter meinen Ururgroßvater Hans-Heinrich Meyer und sie verlegte ihren Wohnsitz dadurch vom Hause Nr. 35 nach der Moorburger Schanze Nr. 9, wo die Hochzeit stattfand. Ihr wurde ein Sohn geboren mit Namen Lorenz Heinrich Meyer, der mein Urgroßvater ist. Meine Ururgroßmutter wurde 1831 Witwe. Sie wurde 82 Jahre alt und starb auf der Moorburger Schanze. Das Wohnhaus brannte 1814 nieder. Aus den Trümmern wurde eine Schanze erbaut. Es kämpften um die Moorburger Schanze die Kielmanneggschen - Lüneburger - Harzer Jäger und russische Artillerie. Der Deich war bei dem Nachbarhaus Nr. 7 durchstochen worden, und alles Land wurde überschwemmt. - Jenseits des Deiches lagen die Franzosen und wollten die Schanze erobern. Die Hauptschlachten waren im Februar und im März 1814.

Ilse Meyer, Moorburg Elbdeich 100, geb. den 14. Juni 1932

Moorburg, den 28.5.1946



Moorburgs Milch- und Torfhandel in vergangenen Jahren (Ulrich Harms)

Es ist erstaunlich, wie kurz das Gedächtnis der Einwohner eines Dorfes für die Geschichte der eigenen Heimat ist. Wie inhaltreich ist zum Beispiel die Geschichte meines Heimatdorfes Moorburg! Und doch: stellt man bei unserer jüngeren Generation eine Frage danach, so staunt man wieviel Unkenntnis da zu Tage tritt. Von meinem Großvater, der mir schon viel von seinen Eltern und seiner Jugendzeit erzählt hat, habe ich erfahren, dass meine Vorfahren mütterlicherseits mit Torf und Milch gehandelt haben. Besonders der Torfhandel brachte viel Geld in den Ort hinein. Das Torfstecken, das bei uns im tiefen Moor vorgenommen wurde, war eine schwere und mühsame Arbeit. Waren die Torfsodem durch die Hitze des Sommers getrocknet, so wurden sie in den Kahn geladen und nach Haus gefahren. Dort ging eine Umpackung vor sich. Im Herbst kam der Torf in Säcke und wurde in einen Torfewer geladen. Für diese Ewer waren im Vorland eigens breite Abfahrtsgräben ausgehoben worden. Es wurde gesagt "Wer die Scheune voll Torf hat kommt gut durch den Winter." Im Ewer ging's durch die Elbe ins Hamburger Fleet. Dies ward aber oft durch Sturm und Unwetter sehr schwierig gemacht. Im Fleet wurde ausgeladen und an Kundschaft getragen. Auch dies war nicht so einfach, denn der Torf musste oft viele Treppen hoch hinaufgetragen werden. War der Winter sehr kalt und anhaltend, so wurde das Brennmaterial in Hamburg knapp. Wenn dann die Elbe zugefroren war, wurde der Torf in Schlitten geladen und übers Eis nach Hamburg "gerüscht". Da auf der Geest nicht viel Geld zu verdienen war, kamen viele Leute und halfen den Bauern beim Torfstecken. Auf diese Art und Weise sind auch meine Vorfahren hier in Moorburg ansässig geworden. Diese bleiben jedoch nicht bei dem Torfhandel allein, sondern wandten sich später auch den etwas einträglicheren Milchhandel zu. Da es in alter Zeit noch keine Dampfschiffe gab, so taten sich die damaligen Milchhändler zu Genossenschaften zusammen. Eine Anzahl von ihnen, etwa acht bis zwölf, kauften sich einen Milchewer. Das waren leichte, schlanke, schnelle aus-gezeichnete Segler. Diese Fahrten auf ihnen waren häufig mit großen Anstrengungen und Strapazen verknüpft, hauptsächlich im Winter zur Eiszeit. Für diese benutzen die Milchhändler besonders lange Kähne mit Schienen drunter, die sie auf dem Eise als Schlitten und wenn das Eis brach im Wasser als Kähne benutzten. War man glücklich in Hamburg angekommen, so wurde die Milch verkauft, die aber häufig durch den hohen Wellengang "getauft" worden war, so dass daraus der Spruch entstand: "Köhlbrand, Köhlbrand kannst du swiegen? Ick will die in mien Ammer kriegen." Auch wurde in der Gaststube am gemeinsamen Frühstückstisch mancher Scherz ausgedacht. So erzählte man sich z.B. die Geschichte "Vom Wasser zur Milch." Es saß bei ihnen nämlich ein alter Milchhändler, der behauptete, noch nie Wasser zur Milch gegossen zu haben. Daraufhin wurden von einer Fischfrau ein paar kleine Aale gekauft und diese in den Handeimer des alten Milchmannes getan. Nun kam plötzlich ein anderer Milchmann in die Gaststube ganz aufgeregt sprach er "Mir ist die ganze Milch umgefahren worden, ihr müsst mir aushelfen!" Aber keiner hatte angeblich welche übrig; in Wirklichkeit aber war alles abgemachte Sache. Nur der alte Milchmann wusste nichts davon und somit erklärte er sich bereit auszuhelfen. Er holte seinen vollen Handeimer in die Gaststube und goss die Milch unter dem Zuschauen der anderen Milchleute in den Eimer des Milchmannes, wobei auch die Aale zum Vorschein kamen. Unter lautem Gelächter sagten alle: "Wir haben wohl Wasser hinzugegossen, aber du hast noch viel tiefer gelangt; du hast sogar Aale mit hineingefischt!"
Weiter erzählte man sich, dass ein Milchmann sich einst ein großes, schönes Haus baute. Eines Morgens stand am Haus geschrieben: "Wie kann Wasser solch große Dinge tun?".
Morgens, wenn die Milchleute die Milch von den Bauern holten, gossen sie vor dem Einschütten der Milch in das große Gefäß eine Schicht klares Wasser hinein, damit sich die Milch nicht "ansetzte".
War im Winter die Milch gefroren, so lieh der Milchmann sich eine Kanne heißes Wasser und stellte sie in die Milch um sie aufzutauen. Leider "kippte" die Kanne in der Milch sehr oft um! Solche Scherze gibt es viele aus der "guten alten" Zeit.
Mit der Zeit wurden die Milchhändler durch den guten Verdienst über-mutig. Wurde bei einem von ihnen ein Schwein geschlachtet, so gingen sämtliche Milchleute nach ihrer Rückkehr von Hamburg zu ihm ins Haus, um das Schwein zu begutachten und zu taxieren. In Wirklichkeit aber wollten sie nur seinen Rum probieren. Zuletzt stand dann eine große Menge um das Schwein herum. Jetzt ging das Taxieren los: "O, dee wicht sien goode 400" - "Ne, dee hett noch mehr, de hett 425". Ein Dritter sagte: "Is nich wohr, 450 wicht he!" Andere wiederum nahmen Maß und stritten dagegen Schließlich wurden Wetten aufgestellt. Der Schlachter musste kommen und das Schwein wiegen; denn die Streitenden wurden sich nicht einig. Alles wartete mit Spannung auf das Ergebnis. War dieses gefallen so musste jeder einen ausgeben für den besten Taxierer. Hinterher ging alles in Trinkerei über. Währenddessen standen die Hunde in langer Reihe etliche Stunden lang vor dem Milchkarren und warteten vorm Hause. Die Milchleute indessen ließen sich Zeit: Ja, sie trieben es sogar soweit, dass die Angehörigen die Milchkarren holen mussten. Sie selber kamen erst spät in der Nacht nach Hause.

Die Trinkerei der Moorburger Milchleute nahm so sehr überhand, dass der damalige Pastor Cropp sich veranlasst sah, einen kirchlichen Bericht über die Missstände in Moorburg anzufertigen. Dieser wurde bei der Neudeckung des Kirchturmes dafür bestimmt, in dessen vergoldeten Knauf Aufnahme zu finden. Als die Moorburger Milchhändler hiervon "Wind" bekamen, waren sie sehr entrüstet. Sie wollten ihre Schande nicht für Kind und Kindeskind verewigt wissen. Sie wandten sich nacheinander beschwerdeführend an den Moorburger Pastor, an den Gemeindevorstand, die Landherrenschaft und an die Hamburger Bürgerschaft, überall vergeblich. Zuletzt legte sich eine Hamburger Zeitung ins Mittel und versuchte die Sache auf ein anderes Geleise zu schieben.
Sie schrieb ein Gedicht folgenden Inhalts:

"Ach, in Moorburg, ach, in Moorburg,
Reißt die Sittenlosigkeit
Leider Gottes, Tür und Tor durch
Jetzt schon seit geraumer Zeit.
Da sind alle jungen Leute
Spiel und Soff so zugetan
Dass dereinst als Höllenbeute
Sie der Teufel empfahn
In die Kneipen tun sie laufen
Wo es ihnen nur gelingt,
All die Gelder zu versaufen,
Die der Grünkram ihnen bringt.
Ist das nicht ‚ne Affenschande?
Solche ist es, und darob
Lösten sich des Zweifels Bande
In der Seel' von Pastor Cropp.
Eine Schilderung entwarf er
Von dem Treiben dieser Schaar,
Schriftlich rügte alles scharf er,
Was zu rügen ist und war;
Bracht' es dann im flug des Sturmes;
Der Entrüstung -Pastor Cropp-
In des alten Kirchenturmes
Neu mit Gold verzierten Knopp.
Und nun werden einst nach Jahren
Enkel noch mit bittern Leid.
Doch zu Warnung noch erfahren
Ihrer Ahnen Schlechtigkeit!"

Diese aufsehen erregenden Geschichte wurde durch einen Moorburger Spaßvogel dadurch die Krone aufgesetzt, dass er beim Hinaufziehen des Knaufs laut in die atemlose Stille hineinrief: "Nun danket alle Gott, de Melkhökers sünd nu ropp; der große Dinge tut, nu kommt se nich wedder rut!" Das Ende vom Liede war also, dass die Milchhändler zum Schaden auch noch den Spott dazu bekommen hatten.
Alles dies ist nicht nur für die meisten Moorburger versunken und vergessen, sondern die Milchhändlerzunft wurde inzwischen überhaupt aufgelöst. Im Jahre 1938 stellten die letzten Moorburger Milchhändler auf Veranlassung der Behörde (NSDAP) ihre Fahrten nach Hamburg endgültig ein.
Die Torfsteckerei allerdings hat noch einmal für kurze Zeit eine Art Auferstehung feiern können. Nach dem unglückseligen verlorenen Kriege 1939-1945 die Feindmächte unsere Ruhrkohle für Wiedergut-machungszwecke beschlagnahmten und unsere Hausstände ge-zwungen waren ohne Winterkohle auszukommen, besann sich man-cher Moorburger auf die alten Torfgruben der Vorfahren und spürte ihren Resten nach. Besonders in diesem letzten Sommer (1946) ist sehr eifrig gegraben und gestochen werden. Trotz der Fülle der Sommerarbeiten hat mancher aus Sorge vor der Kälte des kommenden Winters sich gezwungen gesehen, aus den letzten Ausbeutestellen unseres Moores Torf für den Winterbrand herauszuholen. Mit wie viel Mühe und Schweiß das verbunden war, lässt sich nicht beschreiben.

Ulrich Harms, Moorburg Elbdeich 210, geb. 7.Februar 1932

Moorburg, d. 28.8.1946




Balkensprüche aus der Elbgegend (Gisela Martens)

Wenn man unsere engere Heimat durchwandert, dann fallen besonders im alten Land die schönen reich verzierten Bauernhäuser auf. Schwere Eichenbalken mit reichen Verzierungen unterbrechen das Mauerwerk und ziehen unwillkürlich den Blick auf sich. In den großen Querbalken in der Giebelwand finden wir oft kunstvoll eingeschnitzte Sprüche, die uns manches aus früheren Jahrhunderten erzählen. Hingegen sind die neueren Häuser nur aus Backsteinen zusammengefügt, die neuzeitliche Technik ist nicht mehr für Verzierungen; denn das Tempo der heutigen Zeit lässt die Menschen achtlos werden, so dass sie keinen Blick mehr für so manches Schöne haben. Steht man aber einmal still vor seinem alten Bauernhaus, so sieht man mit viel Staunen, mit wieviel Liebe der Besitzer früher an seinem Haus hing, und dass für dessen Ausgestaltung keine Kosten gescheut wurden. An der Art des Spruches, die wir an den Hausbalken lesen, kann man noch heute erkennen, welche Gesinnung der Erbauer hatte.
Der Eigentümer eines Hauses in unserem Nachbardorfe Neuenfelde, der seiner Hausinschrift zufolge von Gott ganz erfüllt war, wählte folgenden Spruch:

"Mit Gott fang' an,
mit Gott hör' auf,
das ist der beste Lebenslauf."
Ähnliche Gedanken mag auch der Erbauer eines Hauses in Francop gehabt haben, dessen Sinnspruch lautete:
"Ich hab' gebauet
und Gott vertrauet.
Gott selbst wird sorgen
Von heut' auf morgen."
Ein anderer Ortsansässiger, dessen Haus aus großer Feuersnot glücklich errettet wurde, schmückte dieses aus Dankbarkeit mit folgendem Spruch:
"Anno 1778 entstund ein groß' Feuernot, Und ich betete zum Herrn,
und das Feuer stillte sich.
Ach, dass wir doch alle ein Herz hätten,
den Herrn zu fürchten,
auf dass es uns wohlgehe und unseren Kindern ewiglich."
Ein Moorburger, der offenbar Sorge und Not schon stark zu spüren bekommen hatte, vertraute trotz allen Missgeschicks ganz auf den Herrn:
"Sorgen ist dem Herrn nicht verborgen,
der alles sieht und alles hält.
Und was er mir beschieden,
das dient zu meinem Frieden,
wär' auch die schwerste Last."
Ein Moorburger, vom sogenannten Alten Deich, der gleichfalls ein sehr gottesfürchtiger Mann gewesen sein muß, erwählte folgenden Spruch:
"Alles, was mein Tun und Anfang ist,
Das gescheh' im Namen Jesu Christ;
Der steh' mir bei, früh und spat,
bis all' mein Tun ein Ende hat."
Alle bisherigen Sprüche reden von Gottvertrauen und tiefem Glauben. Daneben gibt es auch eine Reihe von Sprüchen, die uns zeigen, dass es auch Menschen gab, die Sprüche des Alltags vorzogen. An einem mir bekannten Hause kam mir das besonders zu Bewusstsein. Dort steht geschrieben:
"Gebaut ohn' Bier und Branntwein,
soll dieses Haus ein Zeugnis sein,
dass Mauermann und Zimmermann
auch ohne Branntwein bauen kann."

Hieraus geht für mich hervor, dass der Erbauer dieses Hauses nicht nur ein Alkoholgegner, sondern auch ein furchtloser Mensch war, der sich nicht scheute, vor aller Welt für die Wahrheit eine Lanze zu brechen.
Missgunst und Neid müssen schon von je her unter der Bevölkerung groß gewesen sein. Um diesen unerfreulichen Eigenschaften entgegenzutreten, haben manche Leute Sprüche an ihren Häusern anbringen lassen, die mahnend und warnend auf diese Streit und Zank bringende Untugend hinweisen. Sie lauten:

"Vor Missgunst und Neid
ist niemand befreit;
wenn ich aber habe Gottes Segen,
ist mir an Missgunst nichts gelegen."
und:
"Lasst die Neider Neiden
und die Hasser hassen;
was Gott mir zugedacht,
das müssen sie mir doch lassen."

Aber ein richtiger Bauer spricht platt, und so auch sein Denken. Deshalb finden wir die Hausinschriften oft auch plattdeutsch geschrieben. Diese niederdeutschen Leute waren nicht weniger religiös als alle anderen, wie ihre Hausinschriften beweisen. Oftmals besaßen sie einen urwüchsigen Humor, und durch ihren Witz wussten sie ihren Neidern die richtige Abfuhr zu geben. So steht an einem Haus geschrieben:

"Dor günn mi eener, wat he will,
so geew em Gott dreemol soveel."

Tiefe Heimatliebe und Sehnsucht nach Hausfrieden kommen in einem Spruch zum Ausdruck, den man sehr häufig an alten Gebäuden findet:

"Nord und Süd, de Welt ist wiet,
Ost und West, to Hus ist best."

Die ganze Großartigkeit niederdeutschen Denkens aber tritt in einem Spruche in Erscheinung den man im Alten Lande nachlesen kann und der den Wortlaut hat:

"Liekut und grad in alle Stücken;
De Dör ist hoch noog, brukst die nich bücken."

Er zeigt, dass dem Niederdeutschen alle Liebedienerei und Kriecherei zuwider ist.
Seit langer Zeit werden Hausinschriften nicht mehr angebracht werden. Die moderne Welt hat keinen Sinn mehr für solche Sitten und Gebräuche. Das ist sehr bedauerlich. Durch die Ereignisse der Zeit und durch Feuer gehen uns ferner in jedem Jahre mehrere der wertvollsten Balkensprüche verloren. Desto mehr sollten wir uns verpflichtet fühlen, dass Wenige, was von alten Überlieferungen in unsere Tage hinübergerettet worden ist, in Ehren zu erhalten.

Gisela Martens, Hamburg - Moorburg Kirchdeich 18, geb. 23.8.1931




Einst und jetzt (Lisa Scharnhob)

Im Leben eines Volkes ist ein ewiges auf und Ab. Nach dem verlorenen Kriege leben wir in einer Zeit der Armut. Auch die geringsten Ansprüche können kaum gedeckt werden. Es mangelt bei uns an Lebensmitteln, sowie an Kleidung und Hausrat, und für den Schmuck des Lebens bleibt schon gar nichts mehr übrig. Wir können unsere Zeit mit der unserer Vorfahren vergleichen, als sie unter der Bedrückung Napoleons litten. Auch sie lebten damals in einer schweren Zeit.
Wer heute das Pastorat besucht und die vielen Altertümlichkeiten besichtigt, der wird unter ihnen Trauringe verschiedener Art finden. Die Geschichte dieser Trauringe, die aus Messing bestehen, zeugt von der großen Not der damaligen Zeit. Die Brautpaare entliehen sich mit einigen Ausnahmen diese Ringe. Sie waren nicht imstande, sich selber welche zu beschaffen. Da sie doch wenigstens am Hochzeitstage den Trauring, das äußerliche Zeichen des Verbundenseins, tragen wollten, so waren sie gezwungen sich diese zu leihen. Auch Brautkronen und Brautsträuße jener Zeit werden im Pfarrhause aufbewahrt. Wegen des Geldmangels mussten auch sie geliehen werden. Für diese Schmuckstücke mussten Gebühren bezahlt werden. Und je nach den Verhältnissen des Paares, entlieh sich die Braut die teuerste oder die billigste Krone. Die Braut wurde im Brauthause, das noch heute am nördlichen Eingange der Kirche zu sehen ist, geschmückt. Hier empfing sie die Krone und den Brautstrauß. Es ist bestimmt nicht leicht gewesen für die Braut, wenn sie in geliehenen Schmuck vor den Altar treten musste. Wenn sie einen eigenen besessen hätte, so wäre sie wohl glücklicher und stolzer gewesen; aber leider hat es die Zeit ja nicht ermöglicht. Wenn man einen Vergleich zwischen einst und jetzt zieht, so sieht man, dass auch heutzutage viele Eheleute keine goldenen Trauringe mehr tragen, sondern sich mit vergoldeten Messingringen begnügen müssen. Auch die Bräute der jetzigen Zeit tragen an ihrem Hochzeitstage oft ein geliehenes Brautkleid und einen geliehenen Schleier.
Zwischen den Altertümlichkeiten des Pastorats befinden sich auch einige Taufkleider der damaligen Zeit. Auch den Kindern konnte aus eigenem Bestande kein Taufkleid beschafft werden, da das Leinen in den Schränken fehlte. Darum gingen die Eltern zum Pastor und liehen sich gegen eine geringe Gebühr ein Kleid. Es ist wohl schwer für sie gewesen, wenn sie ihrem Kinde ein geliehenes Taufkleid anziehen mussten, denn ein Kleid aus eigenem Bestande hätte den Eltern wohl eine größere Freude bereitet. Es gab viele, die es schmerzlich empfanden, für ihr eigenes Kind kein eigenes Taufkleid zu besitzen. Es gab aber auch Eltern die glaubten, dass ein besonderer Segen in dem Kleide von der Kirche stecke. Darum fühlten sie sich auch nicht bedrückt, wenn sie kein eigenes Kleid besaßen. Auch heute ist es mancher Mutter unmöglich, ihrem Kinde ein Taufkleid zu beschaffen. Es kommt vor, dass heutzutage viele Kinder in der alltäglichen Kleidung getauft werden.

Es wäre trostlos, wenn dieser armen Zeit nie eine bessere folgen würde. Der damaligen Zeit ist eine Zeit des Wohlstandes, ja sogar der Üppigkeit, gefolgt; und so wollen wir hoffen, dass unserer traurigen Gegenwart eine bessere Zukunft folgen wird.

Lisa Scharnhob, Hamburg - Moorburg Elbdeich 102

Moorburg, den 19. Januar 1947



"Eine schwere Last" (Irmgard Winter)

Als unser Lehrer in den Jahren 1940 und 1941 im bayrischen Wald in der Ortschaft Metten 65 kinderlandverschickte Schülerinnen unserer Schule 11 Monate lang zu betreuen hatte, brachte er sich aus Zwiesel eine von einem Künstler geschnitzte Holzfigur mit, die er uns in diesen Tagen in der Schule zeigte.
Sie stellt einen alten Mann dar, der gerade aus dem Walde kommt. Er hat ein großes Traggestell auf dem Rücken. Darin trägt er eine schwere Last Holz. Gebückt geht er langsam seines Weges. Es scheint so, als ob er kaum noch die Kraft hätte weiterzukommen. Der Wind weht seine Schürze zur Seite. Seinen Hut hat er tief ins Gesicht gezogen, und schwer stützt er sich auf seinen Knotenstock. Auf seinen Gesichtszügen liegt Wehmut und Trauer, aber die Zähne hat er fest zusammengebissen als wollte er sagen: "Ich lasse mich nicht unterkriegen!"
Unser Lehrer hat die Holzfigur auf seinem Schreibtisch stehen. Er sieht sie sich jeden Tag an und denkt dabei an unsere eigene große Not in deutschen Landen.
Gebückt wie dieser alte Mann geht auch unser deutsches Volk unter seiner schweren Last daher; denn es fehlt uns fast an allem, was zum Leben nötig ist, hauptsächlich an Nahrungsmitteln. Gerade augen-blicklich ist es besonders schlecht um unser tägliches Brot bestellt. Da unsere eigene Roggenernte längst verzehrt ist, so schickt das Ausland uns für unsere Bäckereien hauptsächlich Maismehl. Das daraus ge-backene Brot ist sehr trocken und bröckelig und für manchen Magen schwer verdaulich. Noch dazu steht uns eine Kürzung unserer jetzt schon so knappen Brotration bevor. Es wäre uns bei dieser Lage der Dinge viel geholfen, wenn wir wenigstens genügend Kartoffeln zur Verfügung hätten. Leider sind diese in dem letzten harten Winter in vielen Haushaltungen erfroren. Bei der Einkellerung hatte es sowieso nur die Hälfte der zugesagten Menge gegeben. Ganz besonders schlimm sieht es zur Zeit um die Belieferung mit Fett und Milch aus. Butter auf Brot kennen wir Kinder überhaupt nicht mehr. Unsere Brotschnitten werden im Winter meistens mit Marmelade und im Sommer mit Quark belegt. Um zu verhindern, dass die Jugend in Deutschland unterernährt und krank wird, gibt es täglich in der Schule eine Frühstücksspeisung, die auch in den Ferien nicht fortfällt. Sie ist durchweg ganz kräftig gekocht, aber es fehlt in den Suppen an Zucker. Süßigkeiten kennen wir Kinder nur noch aus Erzählungen der Großen.

Zum größten Bedauern unserer Eltern, sieht es auch um unsere Kleidung nicht besser aus. Am schlimmsten steht es um unser Schuhzeug. Bei dem kalten und nassen Wetter im Winter war es uns oftmals unmöglich, zur Schule zu kommen. - Da seid letzter Woche nur noch 800 Kalorien anstatt 1500 zur Ausgabe gelangt sind, so ist die gesamte Arbeiterschaft Hamburgs gestern 4 Stunden lang in einen Streik getreten. Hoffentlich wird es danach nun besser mit der Lebensmittelzuteilung.
Als ich die Figur "Eine schwere Last" zum ersten Male sah musste ich gleich an meinen Vater denken. Auch er trägt schwer in dieser Zeit. Wie soll er nur für alles sorgen bei uns im Hause, wo wir doch 4 Kinder sind? Manchmal kommt es mir auch vor, als könne er kaum noch, unter der Last gehen. Aber dann denke ich auch wieder; Gott wird uns schon helfen. "Wenn alles bricht Gott verlässt uns nicht. Größer als der Helfer ist die Not ja nicht."
Und so wollen wir denn mit Gottes Hilfe mutig in die Zukunft hineingehen. Genau so wie der alte Mann, den die Holzfigur darstellt, die Zähne zusammenbeißt, so wollen auch wir es tun und uns immer wieder gegenseitig zurufen: "Nicht unterkriegen lassen!"

Irmgard Winter, Hamburg-Moorburg Elbdeich 204

Moorburg, den 9.5.1947


Was ich von meinen Vorfahren weiß. (Hans-Heinrich Peters)

Mein im Jahre 1873 geborener Großvater wohnte ursprünglich in Lauenbruch. Lauenbruch war ein kleines Dorf, es grenzte an Moorburg. Mein Großvater wohnte an der Elbe. Das Gemüse musste mit kleinen Kähnen an den Dampfer gebracht werden. Die Milch wurde vom Milchmann nach Hamburg gebracht. Das Heu musste in Kähnen über die Elbe geholt werden. Mein Großvater wohnte 35 Jahre in Lauenbruch. Die Ländereien mussten für Industriezwecke verkauft werden. Mein Großvater musste sich eine zweite Heimat suchen. Ein Grundstück wurde in Moorburg gekauft, wo er sich ein neues Haus baute. Meines Großvaters Gedanken weilen noch oft in Lauenbruch, manches erzählt er uns noch von seiner Heimat. Ein schönes Lied wurde über Lauenbruch gedichtet, es heißt: "An der Elbe Strand, wo ich in Freud' und Schmerz erkannt so manches treue Herz. O Lauenbruch, ich muß dich meiden. Nun ade! Auf Wiedersehn!

Hans-Heinrich Peters, Hamburg-Moorburg, Elbdeich 259, geb. 16.8.1939

Moorburg, den 9.4.1951


Was ich von meinen Vorfahren weiß. (Christel Schmidt)

Meine Großeltern mütterlicherseits stammen aus Kehdingen. Mein Großvater und seine Vorfahren betrieben Schifferei und Obsthandel. Außerdem hatten sie noch eine kleine Landwirtschaft. Meiner Großmutter Vorfahren hatten einen Gemischtwarenladen und eine Gastwirtschaft. Mein Großvater starb im Alter von 78 Jahren, meine Großmutter im Alter von 73 Jahren. Ich habe also diese Großeltern noch gekannt. Als wir während des Krieges Moorburg verlassen mussten haben wir dort Unterkunft gefunden.

Meinen Großvater väterlicherseits habe ich leider nicht mehr gekannt. Er starb im Jahre 1931. Er war Tischlermeister hier in Moorburg und im Jahre 1892 als wandernder Handwerksbursche nach hier gekommen. Er stammte aus der Provinz Sachsen und zwar aus dem Ort Friedersdorf bei Bitterfeld. Sein Vater war Mühlenknappe und ist jung gestorben. Seine Mutter hat ihre 3 Söhne überlebt und ist 1934 gestorben. Mein Großvater hat 1898 hier in Moorburg geheiratet, nachdem er sich im März desselben Jahres hier als Tischlermeister selbständig gemacht hat. Meine Großmutter Betty Schmidt, geb. Ritscher, und ihre Vorfahren stammen aus Moorburg. Ihr Elternhaus ist die allen Moorburgern bekannte Moorkaten. Ihr Vater war Johann Ritscher. Ihre Mutter war Magdalena Ritscher, geborene Behrens. Sie hatte 4 Schwestern und stammte aus dem Hause, was früher dem Schmiedemeister Ibbers gehörte und vor gut 20 Jahren abgebrannt ist. Zu den Nachkommen gehören folgende Familien: Ibbers, Heinrich Quast, Nehus, Pinkenburg, Ferdinand und Hermann Meyer, auch Frau Schubert und viele andere, Mit meinem Urgroßvater Ritscher sind wohl fast alle diejenigen, die Ritscher heißen, irgendwie verwandt gewesen. Er betrieb Landwirtschaft. In der Kindheit meiner Großmutter war die Gastwirtschaft noch eine der größten in Moorburg, und es wurden dort Tanzmusiken abgehalten und Hochzeiten gefeiert. Meine Großmutter erzählt auch, dass sie sehr oft mit ihrem Vater zum Fischen gewesen sei. Hauptsächlich in der Landscheide haben sie Aalkörbe gesetzt. Die Beute war dann so groß, dass sie die Aale mit der Schiebkarre nach Hause gefahren haben. Sie kann sich noch entsinnen, dass sie einmal eine große Waschwanne voll Aale gefangen haben. Viele Verwandte meiner Großmutter sind in den früheren Jahren nach Amerika ausgewandert. Auch meine Großmutter war von 1887 bis 1892 dort. Sie ist aber wiedergekommen, weil es ihr dort nicht so gut gefiel. Nach ihrer Rückkehr kam sie zur Pflege einer entfernten Verwandten in das Haus, das an der Stelle unseres jetzigen Hauses stand und das am 17. Mai 1919 durch Feuer zerstört wurde. Bei der Heirat meiner Großeltern haben sie dann das Grundstück übernommen, das von einem Bruder meines Ururgroßvaters stammte. Mein Vater wurde 1907 geboren. Er hat eine Schwester und einen Bruder. Meine Mutter wurde 1909 in Bützfleth geboren. Sie hat 7 Schwestern und 4 Brüder.

Christel Schmidt, Moorburg Elbdeich 186, geb. 7. März 1940

Moorburg, den 16. April 1951


Jugend und Kriegserlebnisse (Helmut Harms)

Am 12. März 1939 wurde ich in Hamburg - Hamm als Sohn des Kaufmanns Heinrich Harms geboren. Mein Vater hatte ein Feinkostgeschäft in der Hammer Landstraße. Auch unsere Wohnung war dort, und hinter dem Haus standen große Bäume, und man konnte von unserem Balkon aus in den Hammer Park sehen. Ich erinnere noch genau, wie ich oft mit meinem Großvater dorthin gegangen bin, um die Enten zu füttern oder im Park zu spielen. Es waren die schönsten Tage meiner Kindheit. Aber dann brach am 1. September 1939 plötzlich der Krieg aus. Als es in Hamburg wegen der Fliegerangriffe für uns zu gefährlich wurde, flüchteten wir zu Verwandten nach Ostpreußen. Aber vor den anrückenden Russen mussten wir bald schon wieder flüchten und begaben uns auf gut Glück nach Eickeloh bei Fallingbostel. Wir hofften recht, hier ruhige Tage erleben zu können. Aber es kam anders! Es war am 8. April 1945. Die Front rückte immer näher heran und bedrohte uns immer ernster. Wir wussten keinen anderen Ausweg mehr, als mit den Bauern in die umliegenden Wälder zu flüchten. Auf dem Hofe stand plötzlich der große Leiterwagen mit den nötigsten Sachen, und gegen Abend zog der Pole Josef, der auf dem Hofe gearbeitet hatte mit dem Wagen und dem Ochsen davor nach dem Wald. Wir gedachten noch im Hause zu bleiben; aber es war eine große Unruhe im Dorf, da zogen auch wir spät abends in den Wald. Meine Mutter fuhr meine Schwester, die fast 2 Jahre alt war, im Kinderwagen, der noch mit allerhand Gepäck beladen war, und ich lief nebenher. Mit uns ging die Bäuerin und schob ihr Rad, beladen mit allerhand Sachen. Der Weg war sehr beschwerlich, und der Kinderwagen grub sich immer tiefer in den Heidesand ein. Ich konnte benahe nicht mehr laufen. Die Bäuerin, die mit uns ging, nahm mich zuletzt aufs Rad und schob mich. Uns kam der Weg entsetzlich lang vor. Wir zogen nach einem Bienenstand, der mitten im Walde lag. Der gehörte einem Verwandten der Bäuerin. Dort hielt auch schon der Wagen. Es waren schon viele Leute aus dem Dorf versammelt, und es kamen während der Nacht noch immer mehr dazu. Mit Müh' und Not fanden wir in einer kleinen Holzbude Unterkunft; aber bald war es in ihr so eng, dass wir uns kaum mehr rühren konnten und die Glieder uns schmerzten. Während der Nacht wurden in unserer Nähe Brücken, die über die Aller führten, gesprengt und das Schießen kam immer näher. Am nächsten Morgen gingen die meisten Bauern noch wieder ins Dorf, um ihr Vieh, das noch in den Ställen war, zu versorgen. Meine Mutter blieb mit uns und einigen Leuten zurück, und es wurden überall Gräben gezogen und Unterstände gebaut. Aber man konnte kaum Erde ausheben, ohne dass auch Wasser an die Oberfläche drang. Während des Tages trieben die Bauern ihre Kühe und Pferde in den Wald und in die angrenzenden Koppeln. Der erste Tag verlief ziemlich ruhig; aber gegen Abend kamen immer mehr Leute zusammen. Überall in der Umgegend waren Unterstände notdürftig hergerichtet worden. Inzwischen nahm das Schießen immer mehr zu. Bauern, die ihr Vieh aus dem Dorfe heraus trieben, hatten Mühe durchzukommen. Sie berichteten, dass in dem Dorf jetzt auch viel Militär läge. Von nun an mussten wir häufig in unsere Gräben flüchten, da Tiefflieger auf der Bildfläche erschienen. Wenn sie niederschossen, mussten wir uns immer flach auf den Boden werfen. Zuletzt wussten wir gar nicht, wo wir noch Schutz suchen sollten, da das Schießen oft pausenlos weiterging. Solche Stunden kamen uns wie eine Ewigkeit vor. In unserer Angst zogen wir uns Wolldecken über den Kopf, obgleich die uns ja gar nicht schützen konnten und lagen flach auf dem Boden. - Eines Nachts setzte plötzlich eine heftige Schießerei ein, die die ganze Gegend durchstreifte, und das geschah von nun an jede Nacht. - Am Morgen sahen wir vereinzelt kleine Rauchfahnen aus dem Dorfe aufsteigen. Bauern, die ins Dorf wollten zu ihrem Vieh, konnten nicht durchkommen; denn zwischen uns und dem Dorf lag die Eisenbahnstrecke Soltau - Hannover, die ständig unter Beschuss lag. In einer besonders unruhigen Nacht kam plötzlich die Nichte unserer Bäuerin ganz außer Atem und erschöpft zu uns. Sie erzählte, dass SS-Männer ins Dorf gekommen wären. Die hätten ihr gesagt, sie müsse sofort das Dorf verlassen. Überall in Diesem wären Schützengräben angelegt worden und in den Bauernhäusern Stellungen. - Gegen Nachmittag setzte wieder eine heftige Schießerei ein, und wir sahen aus unseren Schlupfwinkeln heraus, wie große Rauchfahnen aufstiegen. Es machte den Eindruck, als ob auch die Kirche in Flammen stände. Neben mir schrie eine Bäuerin auf. "Das ist unser Haus, das ist unser Haus", rief sie in einem fort, und die Tränen liefen ihr die Backen herunter. Da half kein Zureden, sie wollte ins Dorf. Sie fuhr mit ihrem Mann und ihren Töchtern zusammen auf Rädern weg. Spät abends kam ihr Mann ganz verstört mit den Töchtern zurück. Ein einstürzender Schornstein hatte die Bäuerin begraben. - In jener Nacht hörten wir ununterbrochen das Rollen von ganz schweren Wagen. "Das sind Panzer!" rief jemand. Auf der Osterholzer Chaussee mussten ununterbrochen Panzer heranrollen! Es hörte sich unheimlich an, und wir horchten alle gespannt, ob das Rollen uns auch näher käme. - Am anderen Morgen hatte meine Mutter meine Schwester in den Kinderwagen gesetzt, die nötigsten Sachen eingepackt, und dann zogen wir mit noch ein paar anderen Frauen und Kindern über die langen Koppeln hin zum Tannenbruch. Dort war Sumpfboden, und somit konnten die Panzer dorthin nicht kommen. Überall machten sich kleine Trupps auf, die kein Vieh zu versorgen hatten und folgten uns in den Tannenbruch. Der Weg dorthin war sehr mühselig, und ich werde diesen Tag im ganzen Leben nicht wieder vergessen. Dauernd pfiffen die Kugeln an uns vorüber. Man hörte in einem fort das ganz feine Pfeifen und später dumpfe Einschläge aus Richtung Hodenhagen. Zwischen die Bevölkerung hatten sich inzwischen auch viele Soldaten geschoben. In unserer Nähe war ein kleines Flak-Geschütz aufgestellt, und so lagen wir jetzt zwischen 2 Feuern. Wir mussten uns oftmals hinwerfen und hatten wenig Deckung durch Bäume oder Gestrüpp. Endlich hatten wir glücklich den Waldrand erreicht, aber erst mussten wir über einen kleinen, ziemlich reißenden Fluss, die Meiße. Als wir nach langem Suchen eine kleine Brücke fanden, war sie zum größten Teil zerschossen, nur ein einziger Balken führte noch hinüber. Da kam freundlicherweise ein Soldat aus dem Dickicht auf der anderen Seite und half uns hinüber. Im Tannenbruch wimmelte es von Menschen. Die meisten stammten aus unserem Dorf. Auch viele Soldaten fanden sich ein. Überall standen oder lagerten sie in Gruppen herum und berieten heftig, was werden solle. Urplötzlich setzte auf die Soldaten ein heftiger Luftkampf ein. Wir lagen stundenlang auf dem Waldboden, die Decken übers Gesicht gezogen und wagten uns nicht zu rühren. Neben uns hörten wir von den Bäumen die Splitter herunterrieseln. Männer sprangen in geduckter Haltung auf und sahen nach, ob nirgends etwas Verdächtiges war, das uns hätte verraten können. Meine kleine Schwester wollte immer hoch kommen und meine Mutter hatte genug zu tun, sie zu beruhigen, damit sie liegen blieb. Einmal hatte ich die Decke gerade zurückgeschlagen, da kam wieder ein Flugzeug direkt über uns. Mir lief es eisig über den Rücken, und ich hatte das Gefühl, als käme es ganz auf mich herunter. Ich lag auf dem Waldboden und hätte ganz in ihm versinken mögen. Ich starrte zum Flugzeug hinauf, erblickte mit Entsetzen den Piloten und sah ihn Feuergarben schießen. Zum Glück wurde keiner von uns verletzt, und wie ein böser Spuk war es bald verflogen; aber die schreckliche Erinnerung daran hat mich bis heute noch nicht verlassen. Nach Stunden endlich war der heftige Kampf beendet, und wir konnten aufatmen. Wir meinten, wir hätten es hier noch schlimmer getroffen als vorher, und waren ganz von Sinnen. Ohne Zweifel hatte der Engländer die vielen Soldaten unter uns entdeckt. Auch griff er mit großer Heftigkeit die Ruine einer alten Mühle an, die ganz in unserer Nähe war. Sicher nahm er an, dass dort eine Stellung ausgebaut war; denn es hatten sich dort Flüchtlinge verschanzt, und die hatten jetzt einen schweren Stand. Nach und nach kam in uns alle wieder mehr Leben, und wir sahen ein, dass wir etwas unternehmen mussten, bevor die Nacht hereinbrach. Wir gingen noch tiefer in den Tannenwald hinein. Zu unserem Erstaunen wimmelte es dort von Menschen, die sich Unterstände bauten. Zuweilen griffen Soldaten ein und halfen ihnen. So bekamen auch wir ein kleines "Tannenhäuschen". Es stand an einer Wegkreuzung, war ganz aus kleinen Fichten erbaut. Vor dem Eingang standen zwei Bäumchen, so dass man im ersten Augenblick nichts von einem Unterstand entdeckte. Drinnen war für uns genug Platz, dass wir uns darin bewegen konnten. Der Kinderwagen, in dem meine kleine Schwester schlief, stand auch mit drin. Täglich trug meine Mutter von einer nahen Wiese getrocknete Gräser herein, die dort gemäht lagen. Davon baute sie uns ein Lager. Der Knecht Josef brachte uns, als er uns gefunden hatte, ein dünnes Unterbett, und so lag ich von jetzt an gut und brauchte nicht auf dem feuchten Boden zu liegen. - Abends kamen unsere Bäuerin und noch einige Bekannte aus dem Dorf und sahen nach uns. Aber die hatten den Kampf noch viel schlimmer miterlebt. Eine bekannte Hamburgerin war getötet und eine andere schwer verletzt worden. Sehr viel Vieh lag tot oder doch zerrissen auf den Koppeln. Wenn unsere Bäuerin uns gelegentlich Milch brachte, so waren wir hoch erfreut. Plötzlich kam uns dann zu Bewusstsein, dass wir lange nichts Richtiges zum Essen gehabt hatten, vor allen nichts Warmes. Leider musste die Bäuerin immer bald wieder zu ihrem Unterstand zurück. Meine Mutter war recht traurig darüber, und wir wären am liebsten jedes Mal mitgegangen; denn wir fühlten uns ganz allein zwischen all den unbekannten Leuten in dem riesigen Tannenbruch. Aber bald entdeckten wir allerlei Bekannte, und es dauerte nicht lange, so waren wir alle wie eine große Familie zusammengeschlossen. Im Wald war ein breiterer Graben, der von der Meiße kam, in dem haben wir uns gewaschen. Wir lebten in den ersten Tagen nur von Brot und waren dankbar über jeden Tropfen Milch. Später kochte der Bürgermeister Kartoffeln und verteilte sie unter uns. So bekamen meine Schwester und ich 2 bis 3 Pellkartoffeln und waren recht froh darüber. Allmählich wurden immer mehr kleine Feuerstellen eingerichtet; aber wir mussten ganz vorsichtig sein, damit der Rauch uns nicht beim Engländer verriet.


Eines Tages war es dann unglücklicherweise doch so weit. Wir alle waren sprachlos, als plötzlich ein englischer Wagen mit Offizieren vor uns stand. "Jetzt sind wir verloren", dachten wir. Von dem, was die Offiziere sagten verstanden wir kein Wort. Der Bürgermeister, der des Englischen mächtig war, erklärte uns ….

[Die letzten 5 Zeilen sind durch Beschädigung des Originals verloren gegangen.]