Kirchdeich 2 Schmalfeld

Kirchdeich 3 Behrens

Links das Haus Kirchdeich 3, rechts der Wasserturm (Elbdeich 161)

Am Dienstag, dem 20. Februar, schrieb das Hamburger Abendblatt:

"Der Moorburger Elbdeich ist in Abständen von 10 und 50 Metern gebrochen. Fachleute: Der gesamte Deich muß erneuert werden. Das Wasser geht nur langsam zurück, deshalb Schwierigkeiten mit Sturm- und Schlauchbooten. Ab heute werden Amphibienfahrzeuge für die Versorgung der zurückgebliebenen Moorburger Bevölkerung eingesetzt. Ein Hubschrauber soll morgen ein Stromaggregat einfliegen. Wegen des hohen Wasserstandes noch keine Klarheit über die Verhältnisse am Moorburger Kirchdeich und dem Stück Waltershofer Straße und an der Moorburger Schule. Pioniere und Technisches Hilfswerk setzen von Harburg kommend die Straße notdürftig instand."

aus Hein Rieck, Mullheuner, Melkhökers un Sneurmokers, Christians Verlag, Hamburg 1975



Kirchdeich 4 Hinrich Prahl


In der eigenen Stube ertrunken

Moorburg: Wie Elli Bajorat am Tag nach der Flut den toten Onkel Hinrich findet

Der 71-jährige ehemalige Kapitän hatte sich geweigert, auf den rettenden Boden zu klettern.

Von Wolfgang Becker

Moorburg. "Hol din Sabbel!" Hinrich Prahl ist nicht gerade erfreut, als Elli Bajorat am Abend des 16. Februar in seine gute Stube stürzt und ihn vor der drohenden Flut warnt. Die Moorburgerin kümmert sich seit geraumer Zeit um den 71-Jährigen, sieht im Haushalt nach dem Rechten. Doch Onkel Hinrich, der alte Kapitän und Lotse, hat schlechte Laune, und er weigert sich, die Treppe raufzugehen. Auf dem Tisch steht eine volle Flasche Rum, und eben ist er dabei, Heißwasser zuzubereiten. Gegen das Wetter hilft nur ein steifer Grog.

Elli Bajorat, die einige Häuser entfernt am Moorburger Kirchdeich wohnt, ahnt irgendwie, was kommen wird. Sie schafft alle wertvollen Dinge ins Obergeschoss und gibt es schließlich auf, Onkel Hinrich zum Rückzug aus seiner Stube zu bewegen - sie will mit ihrer Familie zur Heideburg nach Hausbruch flüchten, denn "da ist es hoch genug, da kommt das Wasser nicht hin". Dann eilt die 41-Jährige nach Hause und packt mit ihrem Mann Kurt das Auto, einen "lütten Fiat". Ellis Mutter und der jüngere Sohn Günter kommen mit, der ältere Sohn Heinz bleibt im Dorf, um mit den Bauern das Vieh in Sicherheit zu bringen.

Die Flucht beginnt. Auf dem Weg durch den Sturm und die Dunkelheit kommt ihnen aus Richtung Bostelbek ein kleineres Militärfahrzeug entgegen. Elli Ba-jorat erinnert sich: "Links und rechts war schon überall Wasser. Wir konnten noch ausweichen. Der entgegenkommende Wagen krachte in einen Graben, stellte sich auf die Schnauze und blieb liegen. Wir stiegen aus, aber das Wasser ging uns bis zum Bauch. Wir konnten dem Fahrer nicht helfen." Kurt Bajorat gibt Gas. Wenige Kilometer weiter informieren sie Feuerwehrleute. Später erfahren sie, dass der junge Soldat aus der Röttiger-Kaserne bei dem Unfall ums Leben gekommen ist. Er wollte seine Verlobte und das gemeinsame Baby aus Moorburg retten.

Die Bajorats kommen nicht bis zur Heideburg, dort sind bereits viele Menschen aus Neuenfelde untergebracht. In Hausbruch werden sie von einer Familie aufgenommen. Am nächsten Tag hört Elli Bajorat, dass Soldaten mit Schlauchbooten nach Moorburg reinfahren wollen. Sie fährt mit. Und erinnert sich: "Mit dem Boot kamen wir am Haus von Onkel Hinrich vorbei. Hinter der Fensterscheibe trieb er im Wasser - ertrunken."

Das Wasser steht in dem Haus Moorburger Kirchdeich 4 bis zur Decke. Und noch etwas fällt Elli Bajorat auf: Neben dem Leichnam treibt die Rum-Flasche. Sie ist fast leer. Und es bleibt die Hoffnung: "Onkel Hinrich is sin Dod nich mehr gewahr worn."

Das Elternhaus, in dem die Bajorats gewohnt haben, ist von der Flut stark beschädigt. Es muss abgerissen werden. Elli Bajorat zieht später in das Haus von Onkel Hinrich. Dort ist auch die Poststation, in der ihr Mann arbeitet. Mittlerweile ist sie eine der letzten Einheimischen, die in Moorburg leben. Und sie weiß einiges zu berichten: Die Mutter mit dem Baby, die der junge Soldat in Sicherheit bringen wollte, hat die Flut überlebt. Auf dramatische Weise konnte sie sich und das Kind in Sicherheit bringen, verlor aber die eigene Mutter; und lag anschließend ein halbes' Jahr lang im Krankenhaus. Elli Bajorat: "Die Frau lebt noch heute. Und das Kind auch." Die immer noch agile Moorburgerin sitzt in der Stube und zeigt zur Decke: "Dort oben hing Onkel Hinrich. Zum Glück habe ich sein Gesicht nicht gesehen . . ."

Harburger Anzeigen und Nachrichten 18.2.2002

Kirchdeich 5 Ewering

Burgweg 1 Renck, Burgweg 3 Behrens

Burgweg 2 Schwartau

Burgweg 8

Burgweg 12

Kirchdeich 9

Kirchdeich 11a Imko Jansen

Kirchdeich 12 Verhufen

Kirchdeich 14 Pinkenburg, Kirchdeich 16

Kirchdeich 15 Martin Meyer

Kirchdeich 18 Martens

Kirchdeich 20 Ernst

Kirchdeich 22 Allgöwer

Kirchdeich 23 Meyer

Kirchdeich 24 Weselmann

Kirchdeich 25

Kirchdeich 26 Werdier

Was ich bei der Flutkatastrophe erlebt habe.

In der Nacht, als ein großer Sturm war, weckte meine Mutter mich und sagte, dass wir fort müssten. "Das Hochwasser kommt, der Deich ist gebrochen!" Mein Vater stand schon mit dem Auto vor der Tür. Hastig stiegen wir ein und fuhren nach Bostelbeck zu meinem Onkel. Auf der Straße waren viele Autos, die alle vor dem Wasser flüchteten.

Bei meinem Onkel sahen wir immer aus dem Fenster und um 3 Uhr morgens kam auch da das Wasser. Wir sind dann zu meiner Schwester gefahren, die in Hausbruch wohnte. Da waren schon Soldaten, die Leute retten wollten. Unser Haus in Moorburg stand 3 m tief im Wasser. Alle Sachen sind nass und verdorben. Erst nach 14 Tagen war das Wasser wieder aus dem Haus. Eine dicke Schicht von Schlamm bedeckte die Möbel und anderen Gegenstände. Alle unsere Ställe waren kaputt. Unsere Hühner und Butje sind ertrunken.

Alle Kartoffeln und das Obst und viele andere Sachen mussten weggeschmissen werden, weil sie nicht mehr zu gebrauchen waren. Bei uns in der Nachbarschaft sind mehrere Häuser eingestürzt. Einige Nachbarn sind ertrunken. Nun wohne ich erst einmal in Hausbruch und gehe hier zur Schule, weil unsere Schule in Moorburg kaputt ist.

Marlies M.


http://www.schule-hausbruch.de

Kirchdeich 27 Hermann Boye

Kirchdeich 28 Schönemann

Kirchdeich 30

Kirchdeich 32 Senden

Kirchdeich 33 Heinz Wiegel

Kirchdeich 34 / 34a Jenzen

Kirchdeich 35 Böhmer

Karl Böhmer

Kirchdeich 36 Polizeiwache


Foto: Werner Biel

Kirchdeich 37 Otto Quast


Foto: Werner Biel


Foto: Werner Biel

Bis zur Flut habe ich auch oft mit Peter Ahlers gespielt. Ahlers haben gegenüber bei Emmi Scheibe (Maurermeister Scheibe) im Tiefpaterre gewohnt (Kirchdeich 40). Die sind bei der Flut bis unter die Decke abgesoffen und sind nach der Flut zum Haferacker nach Neugraben gezogen. Die Modellbahnplatte von Peters Märklin-H0 habe ich nach der Flut weit hinten in unserem Garten gefunden. Unser "Doppelörtchen" aus dem Hof hatte es bis an die Böschung der Esso getrieben. Opas schöne Holzschubkarre wurde nie gefunden. Wer weiß, wohin die getrieben ist oder wer die weggefunden hat. Verdacht wurde oft geäußert, Beweise nie gefunden. ;-) Dabei waren sämtliche bewegliche Werkzeuge von Opa mit O.Q. geschlagen oder beschnitzt. Dennoch.
Eike Biel, seinerzeit wohnhaft in Hausbruch.


Foto: Werner Biel

Kirchdeich 38 Heinz Wiegel


Foto: Werner Biel

Kirchdeich 39 Rudolf Wiegers, Kirchdeich 41 Gerhard Jonas

Kirchdeich 43 Rudolf Boye

Kirchdeich 45 Fritz Krumstroh

Kirchdeich 46 Wohnungen der Wasserwerke

Kirchdeich 48 Helmut Fock, 50 Heinz Wendt, 52 Burmester


Kirchdeich 48 Rückseite


Foto: Werner Biel


Foto: Werner Biel


Foto: Werner Biel

Kirchdeich 53

Kirchdeich 55

Kirchdeich 59 Hausmann

Kirchdeich 60 Heinz Pinkenburg

Kirchdeich 61 Ernst Groß / "Pino" Holst

In der Nacht der Katastrophe wurde das Zweifamilienhaus, in dem Lore Groß am Moorburger Kirchdeich Nr. 61 mit ihrem drei Monate alten Baby bei den Eltern wohnte, bis auf die Grundmauern zerstört.
Meterhohe Wellen, die der Sturm nach der Überflutung Moorburgs gegen die letzten Häuser am Kirchdeich rund um die Gastwirtschaft "Zum Alten Moorkathen" peitschte, brachten das Haus Nr. 61 sowie auch das Nachbarhaus Nr. 59 zum Einsturz. Die Gastwirtschaft, Nr. 63, wurde schwer beschädigt.
Die Mutter (Alwine Groß) von Lore Groß ertrank in den Fluten. Lore Groß konnte sich schwimmend zur Gastwirtschaft hin retten. Ihr Baby wurde in seinem Bettchen von den Fluten fortgespült. Am nächsten Morgen entdeckte man das Wunder: Das Bett hatte sich in einer der Baumverästelungen hinter dem zerstörten Haus verfangen. Dort konnten Pioniere den Säugling am Nachmittag gegen 17 Uhr bergen.
Auch der Vater von Lore Groß, Ernst Groß, hatte sich auf einen Baum retten können und wurde mit einem Schlauchboot in Sicherheit gebracht.
Lore Groß brachte man mit ihrem Kindchen in ein Heim an der Ostsee. Dort erlitt das Mädchen einen Nervenzusammenbruch. Es konnte den Anblick der See nicht ertragen.
Inzwischen hat sich Lore Groß erholt.[…]
Harburger Anzeigen und Nachrichten 17.3.1962

Ebenfalls kamen Emma Holst und hr Mann Rudolf "Pino" Holst in diesem Haus um, als sie versuchten sich schwimmend zu retten.

Trümmer, nichts als Trümmer. Und unter ihnen, auf wunderbare Weise den tollwütig gewordenen Fluten entkommen, das Abbild eines Menschen. Das Foto eines Jungen, das, Freude der Großeltern vielleicht an der Wand eines kleinen Zimmers hing. Bis der Faustschlag der Natur die Wände einstürzen ließ. Ein Bild von tieferer Bedeutung. Denn als die Fluten sich verlaufen hatten, da blieben zwar Trümmer. Aber aus den Trümmern erhob sich der Mensch, der für Stunden und Tage gebeugt, in den Schmutz getreten und gequält worden war. Und der sich nun anschickt, das Chaos zu beseitigen, seine Welt wiederaufzubauen.
Hamburger Abendblatt März 1962; Das Foto zeigt ein Kinderbild von Heinz Ahlers

Kirchdeich 63 "Alter Moorkathen" (Ritscher)

In den Moorkathen war am Freitag, dem 16., den ganzen Tag über Hochbetrieb gewesen. Bauarbeiter, die auf der Elbe wegen des Sturmes nicht mit ihrer Ramme arbeiten konnten, hatten es sich in der Gaststube gemütlich gemacht, hatten einen Skat nach dem anderen gedroschen und auch das Trinken nicht vergessen. Ihnen konnte in der mollig warmen, gemütlichen Bauernstube der Sturm gestohlen bleiben, am nächsten Tag war ohnehin dienstfrei.

Auch in der Küche war Hochbetrieb. Am nächsten Tag sollte eine große Hochzeit gefeiert werden. Alles war kräftig am Werken, Hackklöße für die Suppe drehen, Kartoffeln schälen, Braten vorbereiten, Backen und vielerlei Arbeit mehr. Zum Abschluss kam das Schrubben, Scheuern und Bohnern der Fußböden; so wurde alles für den kommenden Tag auf Hochglanz gebracht. Übermüdet fielen die Frauen dann kurz nach 23:00 Uhr regelrecht ins Bett. Der Wirt schloss seine Gaststube, was die fröhliche Runde seiner Gäste sehr bedauerte.
Doch die Ruhe in den Moorkathen dauerte nicht lange. Harte Schläge an der Tür trommelten die Bewohner aus den Betten. Der Gastwirt vom Wasserturm stand vor der Tür, um vor der Flut zu warnen. "Wasserwarnung?", sagte der "Moorkater", "Di geiht dat woll nich good!". Er stieg dann aber doch zu dem "Ruhestörer" ins Auto, um sich selbst zu überzeugen. Was er jedoch am Deich sah, ließ ihn sofort zurückeilen. In aller Hast machte die alarmierte Familie die Tiere in den Stallungen los, um sie in Sicherheit zu bringen. Doch noch ahnte niemand, was ihnen bevorstand. Schon unterwegs mit dem Vieh wurden sie von den hereinbrechenden Wassermassen erfasst, so dass sie ihr eigenes Leben in Sicherheit bringen mussten. Nicht alle erreichten das rettende Haus, ein Sohn kam nur noch bis zur Scheune und musste dort ganz allein die dramatischen Stunden verbringen.
Die Hausbewohner blieben nicht lange allein. Einwohner Moorburgs, deren Fluchtweg zur Haake abgeschnitten war, fanden auf dem Boden Schutz. Dazu gesellten sich noch Bundeswehrsoldaten, die, vom Radeland kommend, den Moorburgern Hilfe bringen wollten. Mit ihrem Auto waren sie im Wasser vom Weg abgekommen und in einen Graben gestürzt. Dabei war ihr Unteroffizier ertrunken. Die restlichen Soldaten haben mit ihren Händen eine Kette gebildet und sich gemeinsam durch das tobende Wasser zur Moorkathen durchgekämpft.

Jetzt hatten sich 13 Personen und 2 kleine Kälber auf dem Boden in Sicherheit gebracht. Doch der Sturm wühlte die umgebenden Wassermassen zu einem mächtigen Seegang auf. Brecher donnerten mit aller Gewalt gegen die Gebäude. Das Wasser stieg weiter. Die Vorderfront der Moorkathen brach zusammen, ebenso die Scheune, wo ein Sohn Schutz gesucht hatte. Von ihrem beschädigten Haus mussten sie mit ansehen, wie das Nebenhaus Stück für Stück den Wellen zum Opfer fiel und die Menschen mit fortgerissen wurden. In den Moorkathen stieg das Wasser bis auf den Boden, so dass die Frauen zuletzt in der höher gelegenen Rauchkammer unter Wurst und Schinken hockten. Erst am Nachmittag gegen 17.00 Uhr kam das erste Schlauchboot und befreite zunächst die Frauen. Es wollte gleich zurückkehren, um auch die Männer zu holen. Doch es dauerte dann noch Stunden, so dass die Männer inzwischen über das Schicksal ihrer Frauen zutiefst beunruhigt waren. Das Boot, das die Männer holen wollte, war gekentert, so hatte sich ihre Rettung verzögert. Haus, Stallungen, 3o Stück Hornvieh, 4 Pferde, 20 Schweine und die Hühner gingen verloren. Doch die Menschen hatten ihr Leben gerettet und den Mut behalten, noch einmal von vorn anzufangen.
Hein Rieck; Mullheuner, Melkhökers un Sneurmokers; Christians-Verlag, Hamburg 1975

Nachdem die Straße von Harburg nach Moorburg nicht mehr passierbar war, versuchten Soldaten den Pionierplatz über den Kirchdeich zu erreichen:
Die Männer der 3. Kompanie standen bei ihren Wagen und beratschlagten. Schlauchboote waren jetzt wichtiger denn je! So fuhren sie los, mit vier Wagen, um Boote zu holen. Unterdessen gingen die anderen Soldaten in die Häuser und weckten die immer noch ahnungslos schlafenden Menschen.
Die vier Fahrzeuge mussten weite Umwege machen; immer wieder versperrte das Wasser ihnen den Weg. Schließlich bogen sie hinter dem Bahnhof an den Tempo-Werken nach Moorburg ab. Es war eine einsame Gegend. Manchmal war im Dunkel eine Scheune zu sehen. Bald kam ihnen auch hier das Wasser entgegen. Der Gefreite Kiesewetter von der 3. Kompanie saß am Lenkrad des letzten Wagens. Er sah Gowitzke an, den Unteroffizier. "Weiter!" sagte Gowitzke. "Versuchen müssen wir's!" Das Wasser reichte schon bis über die Scheinwerfer. Die drei jungen Männer im Führerhaus - Kiesewetter, Gowitzke und der Gefreite Uwe von Windheim - starrten in die Dunkelheit. Links war ein Zaun, nach dem sie sich richten konnten, aber dann hörte auch der auf. "Aufpassen", sagte Go-witzke, "rechts ist ein Graben." Ihre Gesichter waren bleich im Widerschein des Lichtes vom Armaturenbrett. Nach einer scharfen Kurve geschah es: Vergeblich versuchte Kiesewetter das Steuer herumzureißen, der schwere Wagen rutschte von der Fahrbahn und kippte in den Graben. Die anderen Fahrzeuge waren weitergefahren, ohne etwas gemerkt zu haben.

Niemand auf dem Unglückswagen war verletzt. Sie waren sechs Mann, die drei im Führerhaus und drei, die hinten gesessen hatten. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Der abgerutschte Wagen schlingerte unter ihnen in der starken Strömung wie ein Boot. Der Motor lief noch. Gowitzke war die Ruhe selbst.
"Seilt euch an", befahl er. Jeder trug eine elf Meter lange Bindeleine bei sich. "Hat jemand Zigaretten?" fragte Gowitzke. Sie durchsuchten ihre Taschen, aber die Päckchen waren vom Wasser aufgeweicht. "Keine? Moment." Er tauchte in das halbüberschwemmte Führerhaus hinab. Plötzlich hörte das Motorengeräusch auf. Sie fanden den Zündschlüssel später in seiner Hosentasche; er hatte ihn abgezogen. Der Unteroffizier war ein Mann, den selbst in solchen Situationen seine Besonnenheit nicht verließ.
Als er mit Zigaretten und Streichhölzern zurückkam, rückten sie eng zusammen, damit der Wind das Streichholz nicht ausblies. Einen Augenblick leuchteten ihre Gesichter auf - junge Gesichter, denen die Gedanken an den Tod fremd waren. Sie hockten da und rochen nach nassen Kleidern. Die weißen Leinen hingen ihnen am Leib wie lange Nabelschnüre. Der Unteroffizier war der älteste von ihnen, vor drei Wochen war er sechsundzwanzig Jahre alt geworden; die Kameraden schildern ihn als einen Mann, der sie jederzeit zum Lachen brachte. Aber sein Vater kannte sein anderes Ich: Gerhard Gowitzke war ein stiller, etwas grüblerischer Mensch, einer aus dem großen Heer jener Heimatlosen und Herumgestoßenen, ohne die keine Armee der Welt Freiwillige bekäme ...
Er war das jüngste von elf Kindern. 1945 war die Familie aus Westpreußen geflohen. Seine Mutter war damals umgekommen - auf der Flucht. Er war ohne sie aufgewachsen, in einem Heim an der Ostsee. Es war eine Geschichte wie tausend andere - aber er war ja noch jung; er hatte noch viele Dinge vor, viele Träume. "Warte nur", hatte er zu seinem Vater gesagt, zu dem er jedes Wochenende fuhr, um ihm beim Bau des kleinen Häuschens außerhalb von Ratzeburg zu helfen, "ein paar Jahre noch, dann sind wir alle wieder zusammen."
Er hatte die Zigarette halb geraucht. "Es hat keinen Zweck, lange zu warten", sagte er. "Das Wasser steigt nur noch mehr." Er zeigte auf den Laternenpfahl, der zwanzig Meter vor ihnen aus dem Wasser ragte. "Also, macht's gut. Und bleibt zusammen."
Er sprang ins Wasser; erst dann muss er, der Besonnene, gemerkt haben, dass er vergessen hatte, sich an die anderen anzuseilen. Er kam nicht weit. Die starke Strömung riss ihm die Beine weg. Er trieb am Wagen vorbei, sehr schnell und so nah, dass der Gefreite von Windheim sich erinnerte, die Zigarette in seinem Mund gesehen zu haben. In diesem Augenblick, als er vor ihren Augen ins Dunkel weggespült wurde, dachten sie noch an nichts Schlimmes. Sie wussten, dass er ein guter Schwimmer war. Und wirklich stellte man später, als man ihn fand, fest, dass es ihm gelungen war, die Stiefel und seine Uniform auszuziehen. Sie fanden ihn - weit entfernt von der Unfallstelle - in der Ortschaft Moorburg. Er hing mit nacktem, blaugefrorenem Oberkörper in einem Dachstuhl, die Beine eingeklemmt, den Kopf nach hinten. Der Arzt, der ihn untersuchte, stellte Knochenbrüche fest. Gowitzke musste von herabstürzenden Ziegeln erschlagen worden sein. Die anderen retteten sich in jener Nacht; angeseilt, zwei links und drei rechts der Straße, wateten sie durch das Wasser, so lange, bis sie endlich in Sicherheit waren.
Drei Stunden nachdem die ersten Einheiten ausgerückt waren, erreichte ein Kommando unter Feldwebel Gärtner endlich den Übungsplatz der Pioniere an der Süderelbe. In der Gerätehalle, in der die Schlauchboote, die Motoren und Paddel lagerten, stand Wasser - über einen Meter hoch. Zum Teil hatte die Flut die Tore aufgesprengt. Andere Tore wurden mit Äxten aufgeschlagen. Die Pioniere mussten in die Hallen hinein schwimmen, um an die Boote zu kommen.[…]
Die hochbeinigen Fahrzeuge kamen mit schäumender Bugwelle die Straße entlang. Niemand fragte. Niemand brauchte zu befehlen. Es gab jetzt nur noch einen einzigen Befehl: Helfen! Und er galt für alle. […]
Hans Herlin; Die Sturmflut; Ernst Kabel Verlag; Hamburg 1997

Heinz Wiegel hat sein Auto beim Moorkathen entdeckt

Am Hinterdeich(Wasserwerk)

Das Moorburger Wasserwerk am Hinterdeich wurde so schwer beschädigt, dass es nach der Flut abgerissen werden musste.