Fußnoten und Bilder wurden im Sommer 2008 hinzugefügt.
Kein deutscher Strom fordert so viele Opfer, und zwar auf eine so kurze Strecke, als die Elbe bei Hamburg. Geschieht dies nun im rauen Herbst oder Winter, wenn Winde heulen, das junge Eis sich trügerisch über das Wasser streckt, oder Treibeis sich übereinander lagert, so überrascht die Nachricht von den in der Elbe Versunkenen uns lange nicht so heftig, als wenn das Unglück im milden Sonnenschein und bei heiterer Witterung, wo Niemand es ahnet, ereignet. Wahrlich die Milchleute und Alle, welche von jenseits der Elbe Geschäft führen, sie haben ein saures, mühsames und gefährliches Brod, das hinterher nur allzu oft von Witwen und Waisen mit Tränen gegessen wird.
Es war am Montag-Nachmittag, den 14. October, als die von Hamburg zurückkehrenden Milchleute, nach der gewöhnlichen Weise, mit noch einigen anderen Personen, sich von Altenwerder nach Moorburg Übersetzen lassen wollten1. Der Fährmann Rittscher2 aus Moorburg aber lag krank zu Bett und also mußte die Frau desselben seinen Dienst versehen. Doch weil Frau Rittscher3 das gewöhnlich als Fährboot von ihrem Manne benutzte Fahrzeug nicht regieren konnte, so nahm sie ein kleineres leichteres, ohne zu wissen oder zu bedenken, daß dasselbe auch lange nicht mehr gebraucht, sich in einem sehr gebrechlichen und schadhaften Zustande befand. Zwölf Personen stiegen zu der Fährmannsfrau Rittscher in's Boot.
Als das Boot mit diesen - sonderbar genug! - dreizehn Personen bis in die Mitte des dort nicht sehr breiten Elbarmes gekommen war, da zeigte es sich, daß das Wasser zwischen den Brettern in das Boot hineinquoll und ehe man es sich versah, war es auch schon bis zur Hälfte gefüllt. Vor Angst und Schreck drängten und lehnten die Meisten sich auf eine Seite, so daß das Boot umschlug und Alle mit Hülferuf und Wehegeschrei ins Wasser stürzten. Diejenigen, welche hierbei zuletzt kamen und so gleichsam auf die Ersten stützen, hatten das Glück mehr Oben zu bleiben, so daß sie sich an dem gekenterten Boot anklammern und mit fortwährendem Rufen um Hülfe, sich über dem Wasser erhalten konnten. Als man vom moorburger Ufer aus das Unglück sah und das Hülfegeschrei hörte, da setzte sich ein Strohewer eiligst in Bewegung, um zu helfen und zu retten, leider aber gelang dies nur bei den Sechsen, welche sich an dem umgeschlagenen Boote fest angeklammert hatten, und die übrigen Sieben, fünf Männer und zwei Frauen ertranken, nämlich: Die vier moorburger Milchleute und Familienväter Jochen Schwartau4 nebst seinem Dienstmädchen5 , Joh. Lütjens6 mit seinem Sohne7 , Heinr. Thiele8 und Christ. Flüger9.
Die Ehefrau10 des Milchmanns Thiele hat leider vor zwei Jahren schon einmal ihren (ersten) Mann in der Elbe verloren, und im vorigen Jahre verlor sie durch eine Feuersbrunst ihre ganze Habe.
Die Leichen der sieben Ertrunkenen sind später aufgefischt worden. Doppelt traurig ist es, daß die fünf ertrunkenen Milchleute sämmtlich Wittwen und Waisen hinterlassen haben, für die auch wir hier das Wort ergreifen, indem wir rufen: Bestellet Euch - durch Herrn Quast im Rödingsmarkt - Milch von den jetzigen Milchverkäufern der Wittwen der oben genannten moorburger Ertrunkenen. Wittwen und Waisen beizustehen ist Christenpflicht.
1 Nach dem Moorburger Kirchenbuch, zwischen 4 und 5 Uhr nachmittags
2 Nicolaus Hinrich Ritscher (*23.12.1817)
3 Catharina Magdalena Ritscher geb. Marquardt (1.3.1838-14.10.1861)
4 Joachim Schwartau (30.6.1819-14.10.1861)
5 Dorothea Biel (30.4.1837-14.10.1861)
6 Johann Lütjens (27.11.1809-14.10.1861)
7 Johann Lütjens (10.9.1839-14.10.1861)
8 Hans Heinrich Thiele (1837-14.10.1861)
9 Christian Flügge (24.4.1827-14.10.1861)
10 Henriette Catharina Rebecca Thiele geb. Ibbers, verw. Renck (*1825, nach 1872)
Hört Ihr dumpf die Elbe rauschen,
Murmeln ihrer Wogen Drang?
Klingt's beim stillen Abendlauschen
Nicht wie ferner Grabgesang?
Ach! Mit gierigem Verlangen
Schlingt die Elbe jäh hinab
Ihre Opfer kühl umfangen
Hält sie sie im Wassergrab.
Doch nicht bloß bei Winterstürmen,
Wenn das Grundeis ächzend bricht,
Wenn sich Wogen brausend thürmen,
Zeigt der Tod sein bleich Gesicht:
Nein, auch wenn im Silberglanze
Sanft die Elbe seewärts schleicht,
Hat im stillen Wellentanze
Sie manch Opfer schon erreicht.
Also Hat sich's neu begeben
Jüngst bei Moorburg auf der Fluth,
Daß aus sieben Menschenleben
Schwer des Zufalls Tücke ruht.
Fährmann, ach! Warum auch weiltest
Krank und matt du in dem Haus?
Böses Schicksal, w'rum auch eiltest
Mit der Fährfrau du hinaus?
Arglos stößt die Frau vom Lande,
Lenkt das trügerische Boot
Kräftig, bis die Bretterbande
Lösen sich zu Graus und Noth.
Mit Schrecken sehn's die Frauen,
Wie herein das Wasser Quillt,
Selbst die Männer stehn voll Grauen
In dem Boot, schon halb gefüllt.
Hülfe! Hülfe! Rufen Alle,
Rettet uns! Fleht jeder Mund,
Doch wie auch der Ruf erschalle,
Treulos bleibt der Wogen Grund.
Und wie sich die Armen drängen
Seitwärts kentert auch das Boot,
Zwischen Erd' und Himmel hängen
Sechse nun in großer Noth.
Aber Sieben, fluthumschlungen
Sinken in das Kühle Grab,
Ob auch kräftig sie gesungen
Sinken in die Fluth hinab.
Endlich, nach dem Todesringen,
Stößt ein Fahrzeug ab vom Strand,
Und mit fröhlichem Gelingen
Bringt es Sechs' zurück zum Land
Doch, um fünfe die ertrunken,
Weint der Kinder bleiche Schaar,
Weinen Frauen, daß versunken
Schon ihr Brotversorger war.
Nichts kann ihre Klagen stillen,
Nichts den herben bittern Schmerz,
Wenn nicht nach des Himmels Willen
Trost erwächst für jedes Herz.
Und so wird's der Lenker fügen,
Hamburg ist ja mild und gut,
Solche Hoffnung kann nichts trügen,
Trost erwächst mit neuem Muth:
Wo sich tausend Hände regen
Im geschäftigen Verein,
Wird auch treuer Arbeit Segen,
Hülf' für Witwen, Waisen sein.